"Vor der Größe des Theaters hatten wir von Anfang an Respekt."

Wolfgang Müller und Hans-Jörg Reisch, Bauunternehmer des neuen Volkstheaters, über das Wunder der Pünktlichkeit
Während bei vielen öffentlichen Bauprojekten Termine platzen und Kosten explodieren, errichten die Bauunternehmer Wolfgang Müller und Hans-Jörg Reisch das neue Volkstheater pünktlich und zum Festpreis. Im Interview erzählen sie, wie ihnen dieses Wunder gelingt.

Interview: Christian Gottwalt

Herr Reisch, Herr Müller, als der Münchner Stadtrat entschied, dass Ihr Unternehmen das neue Volkstheater bauen wird, schrieb die Schwäbische Zeitung: „Ritterschlag für Reisch“. Haben Sie das auch so empfunden?

HANS-JÖRG REISCH: Im Vergleich zu den Firmen, die sonst solche Projekte bauen, sind wir relativ klein. Dass ein normales, mittelständisches Unternehmen so einen Auftrag bekommt, ist in zweierlei Hinsicht ein Ritterschlag. Zum einen, weil die Stadt München uns das wirklich zutraut. Und zum anderen fühlen wir uns geehrt, dass Arno Lederer und sein Architekturbüro mit uns diesen Weg gehen. So ein Haus ist auch für ihn etwas Besonderes. Ein Riesending.

WOLFGANG MÜLLER: Wir haben uns keine großen Chancen ausgerechnet. Als Oberschwaben hier in München anzutreten, wo man uns nicht kennt… Für mich kam es überraschend, dass wir den Zuschlag bekommen haben.

REISCH: Unsere Sorge war zu Beginn ein bisschen, dass wir als Landeier hier in München unter die Räder kommen, weil wir es ein bisschen kleiner gewohnt sind. Aber München hat uns gut empfangen.

 

Helfen Routine und Erfahrung, dabei nicht nervös zu werden?

MÜLLER: Was geholfen hat, war die Stadt München selbst. Wir haben den Auftrag bekommen und schon standen uns alle Türen offen. Man hört immer, Münchens Behörden seien schwierig. Doch es lief wie am Schnürchen. Wir haben einen Bauantrag eingereicht, der schon mit allen Beteiligten abgestimmt war und vier Monate später war die Baugenehmigung da. Und das bei einem Projekt dieser Größenordnung.

 

Chapeau! Wie ordnet sich die Bausumme von 130,7 Millionen in Ihre Bilanzen ein?

REISCH: Es ist das mit Abstand größte Projekt unserer Firma.

© Gabriela Neeb
Unser Ziel ist, am Ende des Jahres mit dem Rohbau oben zu sein. Was aber schlicht auch vom Wetter abhängt.
Hans-Jörg Reisch

Als Generalübernehmer garantieren Sie nicht nur, dass das Theater pünktlich fertig wird, sondern auch, dass diese Bausumme nicht überschritten wird. Sie scheinen diese unglaubliche Verantwortung recht locker zu schultern.

MÜLLER: Locker ist übertrieben. Ich sage es mal so: wir sind überzeugt, dass wir es hinkriegen.

REISCH: Absolut. Und jetzt mehr denn je.

 

Sie meinen: Jetzt, wo der Rohbau schon fast steht?

REISCH: Ja.

 

Sie liegen demnach im Zeitplan?

REISCH: Plus minus drei oder vier Wochen. Unser Ziel ist, am Ende des Jahres mit dem Rohbau oben zu sein. Was aber schlicht auch vom Wetter abhängt. Wenn der Wintereinbruch Ende November kommt, werden wir es nicht ganz schaffen. Aber die Pläne sind da, wie wir das wieder aufholen. Wir sind auch nur deshalb so weit, weil wir schon im Juni mit dem Ausbau der Haustechnik in den Untergeschossen begonnen haben, obwohl der Rohbau noch nicht fertig war. Das wird uns im nächsten Jahr erheblich helfen.

 

Eine häufige Ursache von Kostensteigerungen sind nachträgliche Änderungen am Plan. Verhalten sich noch alle Beteiligten diszipliniert?

MÜLLER: Die Behörden der Stadt und das Theater als Nutzer haben sich eineinhalb Jahre Zeit genommen, die funktionale Beschreibung vorzubereiten. Die haben wirklich jede Schraube und jede Qualiätsrichtlinie definiert. Jetzt gibt es keine Diskussionen mehr über Leistungen, die auszuführen sind.

REISCH: Es gab damals auch einen Testentwurf auf dem Gelände. Die Stadt hat die Behörden abgefragt, was sie brauchen und was sie gerne hätten, und irgendwann war Einsendeschluss. Daran haben sich alle gehalten und das merkt man sehr.

MÜLLER: Disziplin wird aber auch vom Architekten verlangt, der relativ schnell tief in die Gestaltung des Hauses eindringen muss. Sonst ist es oft üblich, den Rohbau fertig zu machen und dann gucken wir mal… Hier ist nichts mit "irgendwann mal gucken".

 

Steuern zahlende Bürger dürften sich fragen, weshalb das nicht immer so gemacht wird.

REISCH: Das frage ich mich auch.

In Berlin wird gerade das Museum des 20. Jahrhunderts gebaut, ebenfalls ein Ziegelsteinbau. Es sollte 200 Millionen kosten. Noch vor dem ersten Spatenstich stieg die Bausumme auf 450 Millionen Euro.

REISCH: Was soll man da jetzt sagen? Nix. Ich kann nur sagen, dass das Generalübernehmerverfahren meiner Meinung nach das Richtige ist. Es wurde in Baden-Württemberg erfunden. Die grün-rote Regierung hat es ausgesetzt, weil es angeblich mittelstandsfeindlich ist. Bayern hat es aufgenommen und macht es, so mein Eindruck, jetzt richtig konsequent.

MÜLLER: Für München ist es das erste Projekt diese Art. Wir als Unternehmer sehen den größten Vorteil darin, dass wir unser Wissen und unsere Erfahrung einbringen können und nicht erst einsteigen müssen, wenn die Planungen schon zum Großteil gelaufen sind.

 

Ein weiteres Argument gegen das Generalübernehmerverfahren ist, dass die Stadt keine Wirtschaftsförderung betreiben kann, indem sie Teilaufträge lokal vergibt.

REISCH: Das kann sie sowieso nicht. Bei einer Ausschreibung nach VOB (Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen, Red.) kriegt der Günstigste den Auftrag.

MÜLLER: Im Bereich Mittelstand können wir viel mehr einbringen als die Stadt München selbst. REISCH: Alle unsere Betriebe sind Ausbildungsbetriebe mit Lehrling und Meister, das volle Programm, so wie wir uns das vorstellen. Wir haben da viel mehr Möglichkeiten, steuernd einzugreifen. Wir sind der Stadt München gegenüber verpflichtet, darüber hinaus unterliegen wir keinen Beschränkungen.

MÜLLER: Stand heute ist, dass alle Firmen aus Bayern und Baden-Württemberg kommen. Die gesamte Haustechnik stammt aus München und dem Umland. Das ist auch zu unserem eigenen Schutz.

 

Inwiefern?

REISCH: Wir versuchen, mit Firmen zu arbeiten, die sich auf Augenhöhe befinden, die gleich ticken wie wir. Wo ein Handschlag gilt.

Stand heute ist, dass alle Firmen aus Bayern und Baden-Württemberg kommen. Die gesamte Haustechnik stammt aus München und dem Umland.
Wolfgang Müller
© Weronika Demuschewski
Das Problem sind Spezialgewerke wie die Bühnentechnik. Der Markt ist klein, es gibt nur vier oder fünf Anbieter.
Wolfgang Müller
© Gabriela Neeb

Stimmt es, dass die ganze Baubranche am Leistungslimit arbeitet?

MÜLLER: Ja, ganz klar.

 

Wie wirkt sich das aus?

MÜLLER: Das Problem sind nicht klassische Gewerke wie Estrich. Das Problem sind Spezialgewerke wie die Bühnentechnik. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass man da Probleme bekommt. Aber der Markt ist klein, es gibt nur vier oder fünf Anbieter. Und die bauen zurzeit alle Kreuzfahrtschiffe aus. Für uns hat sich das gut gelöst, wir haben mit Bosch-Rexroth einen sehr stabilen Partner gefunden.

REISCH: Das ist ein weiterer Vorteil für uns im Vergleich zur öffentlichen Hand: Dass wir unsere Partner nach ihrer Leistungfähigkeit aussuchen können…

MÜLLER: …und auch danach, wie gesund sie sind. Bei einem Projekt, das vier Jahre dauert, kann ich nicht riskieren, dass ich eine kranke Firma vier Jahre durchschleppen muss. Das ist eine der Ursachen, weshalb Baustellen plötzlich stehen: Wenn du so einen Partner aufgezwungen bekommst.

 

Mussten Sie neue Mitarbeiter einstellen für dieses Projekt?

MÜLLER: Nein. Vor der Größe des Theaters hatten wir von Anfang an viel Respekt. Das bedeutet, dass du dich von Anfang an hundertprozentig damit identifizierst und dein ganzes Knowhow reinwirfst. Und das machst du nicht mit fremden Mitarbeitern, die du nicht kennst, sondern das machst du mit deinen eigenen. Und zwar mit den guten eigenen.

REISCH: Wir sind alles Kollegen, die seit ewigen Zeiten zusammenarbeiten. Wolfgang und ich kennen uns seit dem Kindergarten.

Auf einer Skala von 1 bis 10: wie ordentlich ist die Baustelle hier?

MÜLLER: Aktuell sind wir bei 7, wir waren aber auch schon bei 5. Hier wird so viel Material verbaut, das bekommst du teilweise nicht mehr sortiert.

REISCH: Sauberkeit und Ordnung ist eine Riesenaufgabe, weil sie mit dem Thema Sicherheit verbunden ist.

 

Ist schon etwas passiert?

MÜLLER: Nein, Gott sei dank gar nichts. Ist das Volkstheater ein einfacher Bau oder ein komplexerer?

REISCH: Hochkomplex!

MÜLLER: Das liegt an den ganzen Anforderungen, dem Brandschutz, der Bühnentechnik. Niemand von uns baut im Tagesgeschäft Theater.

 

Sind denn schon Fehler passiert?

REISCH: Fehler passieren immer. Sicherlich wurden mal irgendwelche Aussparungen vertauscht. Aber hatten wir was Gröberes?

MÜLLER: Einen Fehler gab es. Wir sind gerade dabei, den zu korrigieren. Das Gebäude schließt ja an einen Altbau an und die gesamte Architektur ist darauf ausgelegt, dass sich die Kante eines Frieses im ersten Stock weiter in den Neubau zieht. Beim Anschluss an den Neubau haben wir festgestellt: Hoppla, da knackt es um zehn Zentimeter! Es war schlicht ein Vermessungsfehler, der im Vorfeld passiert ist. Wir haben es erkannt und korrigieren ihn jetzt. Und dann ist es auch okay.

Für Laien wirkt es wie ein Wunder, dass alles auf den Zentimeter passt.

MÜLLER: Beim Bühnenturm reicht nicht mal das. Mit seinen 30 Metern Höhe ist der auch etwas Neues für uns. Wenn wir unsere Toleranzen addieren, kann der oben ein paar Zentimeter höher werden. Für die Bühnentechniker ist das eine Katastrophe, denn das sind Maschinenbauer, die auf 0,1 Millimeter genau rechnen. Jetzt arbeiten wir nicht mehr nach Baunorm, sondern nach Maschinenbaunorm.

 

Ist bisher alles pünktlich angeliefert worden?

MÜLLER: Vor zwei oder drei Jahren hatten wir mal das Problem, dass es keine Dämmstoffe mehr auf dem Markt gab. Aber momentan kommen die Sachen pünktlich.

Mit einer Ziegelsteinfassade verhält es sich wie mit einem Pulli: Sie gucken sich nicht die einzelnen Fäden an. Es geht um das Gesamtbild.
Hans-Jörg Reisch

Sind Sie mit der Auswahl der Ziegelsteine für die Fassade glücklich?

REISCH: Da können wir unserem Architekten Arno Lederer blind vertrauen. Mit einer Ziegelsteinfassade verhält es sich wie mit einem Pulli: Sie gucken sich nicht die einzelnen Fäden an. Es geht um das Gesamtbild. Stimmt es, dass die Steine von Hand vermischt werden müssen, weil jede Charge eine etwas andere Farbe hat?

MÜLLER: Die Maurer haben drei Paletten vor sich und es gibt eine klare Vorgabe, wieviele Steine sie von jeder Palette nehmen müssen, damit sie zusammen eine Fassade ergeben.

 

In Ravensburg haben Sie und Arno Lederer ein Museum aus alten Ziegelsteinen gebaut, das als Passivhaus keine Heizung mehr braucht. Hätte man das neue Volkstheater auch so bauen können?

REISCH: Ein Passivhaus ist im Prinzip nichts anderes als eine Thermoskanne, also nach draußen hin abgeschlossen. Das Volkstheater hat aber so viele verschiedene Elemente in der Fassade, es gibt Werkstätten und einen Bühnenturm. Und eine Gastronomie, bei der man im Sommer die Fenster aufmachen will. Und einen Anlieferhof, der wahrscheinlich auch den ganzen Tag offen steht. Da macht ein Passivhauskonzept überhaupt keinen Sinn.

 

Wie sieht insgesamt die Energiebilanz aus? Wird das neue Volkstheater klimafreundlich sein?

REISCH: Dass hängt weniger am Gebäude selbst, sondern mehr daran, wie die Stadt München ihre Fernwärme und Fernkälte erzeugt, an die das Theater angeschlossen wird.

© Manuel Braun

Ein großes Thema bei Theatern ist der Brandschutz – wie meistern Sie den?

MÜLLER: Wir haben für dieses Projekt einen Brandschutzsachverständigen, der uns von Anfang an begleitet. Er spricht sich mit den Sachverständigen ab, dimensioniert beispielsweise die Sprinkler. Aber das eigentliche Thema ist die Steuerung: wann darf die Anlage überhaupt losgehen? Wenn aus menschlichem Versagen eine Sprühwasserlöschanlage ausgelöst wird, verursacht das solche Schäden, dass ein Theater ein halbes oder dreiviertel Jahr schließen muss.

 

Das eigentliche Risiko beim Brandschutz ist also nicht Feuer, sondern Wasser?

MÜLLER: Ich glaube, es hat hier keiner Angst, dass bei einem Brand das Ding nicht losgeht. Es hat jeder Angst, dass, wenn kein Brand da ist, das Ding trotzdem losgeht. Meistens passieren solche Fehlauslösungen bei Wartungsarbeiten. In einem Berlin Theater ist kürzlich die Sprühwasserlöschanlage losgegangen, weil ein Monteur mit einer Leiter aus Versehen die Auslösetaste gedrückt hat und so das ganze Haus geflutet hat.

 

Wie sieht ihre Lösung aus?

MÜLLER: Es müssen mindestens zwei oder drei Melder aktiviert werden, damit die Anlage überhaupt anspringt. Man kann auch teilweise manuell arbeiten, mit Brandwachen, um Fehlbedienungen auszuschließen. Bei einem Theater hat man ja das Problem, dass auch mit Pyrotechnik gearbeitet wird. Dann müssen die Brandmelder ausgeschaltet sein.

 

Manchmal rauchen auch Schauspieler auf der Bühne. Oder der Intendant.

REISCH: Keine Sorge, da kann nichts passieren. Die müssten schon sehr viel rauchen.