Eine altes schwarz-weiß Überblickszeichnung des Schlachthofs in München aus der Vogelperspektive.

Das Schlachthofviertel und die Revolution

Im Mai 1919 wurde die Münchner Räterepublik von bayerischen Regierungstruppen und Freikorps gewaltsam niedergeschlagen. Auf erbitterten Widerstand stießen sie dabei vor allem im Schlachthofviertel. Wenige Dokumente zeugen davon.

Autor: Tobias Obermeier

Geschichte zu rekonstruieren kann oftmals eine mühevolle Puzzlearbeit sein. Das weiß auch Beate Bidjanbeg. Neben ihrer Arbeit im Bezirksausschuss 2 ist sie in der Geschichtswerkstatt Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt tätig. Der Verein zur Münchner Stadtgeschichte dokumentiert die Geschichte des Viertels, um sie den Bewohner*innen and allen Interessierten zugänglich zu machen. So auch die Ereignisse um 1919, als die Münchner Räterepublik ausgerufen und nur wenige Wochen nach ihrer Gründung blutig niedergeschlagen wurde.

Zeitgeschichte

Am 7. November 1918 versammelten sich 40.000 bis 60.000 Menschen auf der Münchner Theresienwiese bei einer Friedenskundgebung, um für das Ende des 1. Weltkriegs zu demonstrieren. Eine kleine Schar von Linksoppositionellen um den unabhängigen Sozialdemokraten Kurt Eisner rief noch am gleichen Abend den Freistaat Bayern aus. König Ludwig III. flüchtete nach Österreich. Die Monarchie war gestürzt. Mit der Ermordung Eisners, des ersten Ministerpräsidenten Bayerns, am 21. Februar 1919 änderte sich die zunächst friedvolle Stimmung. In den politischen Machtkämpfen setzten sich die linksradikalen Spartakisten durch und riefen am 7. April 1919 in München die erste Räterepublik aus. Reichswehr- und rechtsextreme Freikorpseinheiten rückten daraufhin auf München vor. Es folgten bürgerkriegsähnliche Zustände und politisches Chaos.

Ein großes Rätsel gab der Geschichtswerkstatt eine Aufzeichnung im Archiv des Kreszentia-Stift auf, einem noch heute existierenden Altersheim in der Isartalstraße. Dort wurde niedergeschrieben, dass sich die weiße Garde, so wurden die gegenrevolutionären Kräfte aus Reichswehr-Truppen und rechtsextremen Freikorps genannt, im Kreszentia-Stift mit neun gefangenen Rotarmisten einquartierte. Diese bekamen dort "abends um 9 Uhr noch die heilige Kommunion. Sie wurden dann sofort an der Ecke Geyertraße erschossen, bis auf einen Matrosen, der unter die Brücke am Glockenbach geflüchtet ist", wie es heißt. "Wir hatten ein Foto aus dem Stadtarchiv, auf dem erschossene Rotarmisten an einer Straßenecke liegen und wir haben immer gerätselt, wo das denn bloß ist", so Beate Bidjanbeg im Gespräch. "Wir haben Trambahnverläufe und Bebauungen auf dem Foto analysiert, die Straßensituation auf Stadtkarten gesucht und dann dämmerte uns langsam, dass das die erschossenen Rotarmisten sein könnten, die im Archiv des Kreszentia-Stifts erwähnt werden." Und tatsächlich, auf dem Foto sind mindestens sieben erschossene Männer zu sehen.

Im Schlachthofviertel war alles vertreten: Arbeiter, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Spartakisten.
Beate Bidjanbeg, Mitglied des Bezirskausschuss

So detaillierte Überlieferungen zu den Kämpfen im Viertel gibt es leider nur wenige. Es ist auf jeden Fall bekannt, dass die gegenrevolutionären Kräfte hier im Viertel, wo heute das Münchner Volkstheater steht, auf erbitterten Widerstand stießen. Das lag zum großen Teil an der sozialen Zusammensetzung des Viertels, indem vor allem politisierte Arbeiter*innen lebten. "Hier war alles vertreten: Arbeiter, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Spartakisten. Und dementsprechend gab es natürlich auch viel Widerstand. Viele im Viertel wollten sich die Errungenschaften der Revolution nicht so einfach nehmen lassen. Es ist also gut nachvollziehbar, dass es auch im Schlachthof viele Auseinandersetzungen gab", so Bidjanbeg.

Davon zeugt auch die Aufzeichnung eines Soldaten, der von seinem Einsatz im für seine Brutalität bekannten Freikorps Marine-Brigade Ehrhardt schreibt: "Ein anderer Halbzug war inzwischen in der Thalkirchnerstraße bis zum Schlachthof vorgedrungen. Auch hier wurde er von den Spartakisten, die sich im Schlachthof und den umliegenden Häusern eingenistet hatten, umringt und abgeschnitten. Und auch hier schlug sich der Zug durch, nachdem viele Spartakisten gefallen waren." Das Viertel um den Schlachthof war auch deshalb ein stark umkämpftes Gebiet, da die Regierungstruppen und Freikorps mit ihrer Ausrüstung neben Haupt- und Ostbahnhof auch über den damaligen Südbahnhof in die Stadt kamen und sich von dort in die Innenstadt durchkämpften.

Der Schuhmacher Emeran Rötzer und der Arbeiter Johann Kohlmann wurden ohne Urteil im Schlacht- und Viehhof erschossen.
Emil Julius Gumbel, Mathematiker und Publizist

Aus Polizeiakten geht hervor, dass die Regierungstruppen und Freikorps dabei äußerst brutal vorgingen. Eine Vielzahl an Nachweisen dazu sind dem Mathematiker und Publizist Emil Julius Gumbel zu verdanken, der in seinem Buch "Vier Jahre politischer Mord" alle vorhandenen Informationen zu den Morden während der Gegenrevolution zusammentrug. So wurden neben Rotarmisten auch viele Zivilisten nach Denunziationen aus ihren Häusern geholt und kurzerhand standrechtlich erschossen. In den Eintragungen von Gumbel finden sich insgesamt fünf Männer, die während des "weißen Terrors" auf dem Gelände rund um das Münchner Volkstheater erschossen wurden. Unter ihnen der Schuhmacher Emeran Rötzer und der Arbeiter Johann Kohlmann, zu denen Gumbel schreibt: "[Beide] wurden am 2. Mai auf Grund von Denunziationen durch württembergische Truppen in ihren Wohnungen, Dreimühlenstr. 14, verhaftet und sofort ohne Urteil im Schlacht- und Viehhof erschossen. Sie hatten 3 Gewehre, die in ihrem Privatbesitz waren, darunter 2 Jagdgewehre, am selben Vormittag abgeliefert. Eine Untersuchung fand nicht statt. Sie wurden beschuldigt, einen Regierungssoldaten umgebracht zu haben. In Wirklichkeit hatten sie einen auf der Straße aufgelesenen verwundeten Rotgardisten beherbergt. Dieser wurde im Bett mit Gewehrkolben geschlagen, dann erschossen. Rötzer hinterläßt drei Kinder."

Eines der bekannteren Mordopfer ist der damals 18-jährige Eisendreher Johann Lehner, der auf bloßem Verdacht hin, der Geiselmörder im Luitpold-Gymnasium gewesen zu sein, von württembergischen Freikorpssoldaten zusammengeschlagen und im Schlachthof erschossen wurde. Kurz vor seiner Ermordung wurde noch ein Foto von ihm mit erhobenen Händen aufgenommen, das wenig später als Postkarte publiziert wurde.

Die "rote Armee" konnte der Übermacht aus Regierungstruppen und Freikorps nicht lange standhalten. Etwa 35.000 Soldaten eroberten in nur wenigen Tagen die gesamte Stadt. Am 2. Mai war der letzte Widerstand in Giesing zerschlagen. Es folgte eine einwöchige Terrorherrschaft von Freikorps-Angehörigen, die jeden massakrierten, der als "Roter" verdächtigt wurde. Nach offiziellen Angaben forderte die Niederschlagung der Räterepublik 625 Todesopfer, 82 von ihnen waren "Weiße". Schätzungen zufolge kamen aber rund 1.000 Menschen ums Leben.

Seit dem Umzug an unseren neuen Standort im Oktober 2021 beschäftigen wir uns in mehreren Teilen mit der Geschichte des Schlachthofs in der Tumblingerstraße und unserer neuen Nachbarschaft. Alle Artikel finden Sie hier auf unserem Blog.