Die Nashörner
Es ist Sonntag, fast Mittag, Sommer. Bérenger und sein Freund Jean werden Zeugen eines seltsamen Vorfalls: Ein Nashorn wurde gesichtet! Sollte nun etwas unternommen werden? Nach und nach tauchen immer mehr Rhinozerosse auf, die sich als die Einwohner*innen der Stadt entpuppen. Befallen von einem unerklärlichen Übel regt sich in den Menschen mit ihrer Verwandlung verstärkt der Wunsch, sich willentlich in diese starken, aggressiven und unempfindlichen Dickhäuter zu verwandeln. Die einen entscheiden sich für diese Lebensform, weil sie die rohe Kraft und Einfachheit bewundern, andere denken, man könne die Tiere wieder vermenschlichen, wenn man nur erst gelernt habe, sich in ihre Denkweise hineinzuversetzen. Immer weniger können der Versuchung widerstehen, denselben Weg zu gehen wie alle anderen. Bérenger verteidigt lange seinen Entschluss, die menschliche Gestalt zu behalten, bis auch seine Überzeugungen ins Wanken geraten.
Als sich Ende der 1930er Jahre immer mehr Menschen aus seinem Bekanntenkreis faschistischen Bewegungen anschlossen, schrieb Eugène Ionesco darüber, "was man vielleicht als den Strom der öffentlichen Meinung bezeichnen könnte, das plötzliche Aufkommen einer Meinung, ihre Ansteckungskraft, die der einer echten Epidemie nicht nachsteht." Er sei Zeuge "geistiger Mutation" geworden – bis zu dem Punkt, an dem echte Verständigung unmöglich wurde. Als Meister des Absurden Theaters schrieb Ionesco ein Stück von klugem Wortwitz, das mit dramatischen Konventionen seiner Zeit brach. Anna Marboe bringt den Text neu auf die Bühne und begegnet mit viel Humor und politischer Dringlichkeit den komplexen Fragen nach dem Glauben an die Menschlichkeit, Konformismus und Entmenschlichung.