"Ionesco schimpfte auf das Theater, aber aus einer Liebe heraus"
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Interview: Tobias Obermeier
Anna, wo sind dir zum ersten Mal "Die Nashörner" über den Weg gelaufen?
ANNA MARBOE: Das Stück habe ich bereits zweimal gesehen. Ich hatte es als sehr düster in Erinnerung. Als mir das Volkstheater das Stück angeboten hat und ich es nochmals las, war ich erstaunt, wie lustig ich es finde. Meistens mache ich es so, dass ich den Anfang und den Schluss lese. Wenn ich mir danach die Frage stelle, wie es denn zu dem Ende kam, bin ich angetan. Das war bei "Die Nashörner" ganz stark der Fall.
Wie kam es dazu, dass Anna das Stück angeboten wurde?
HANNAH MEY: Es standen viele Stücke zur Auswahl. "Die Nashörner" blieb am längsten im Gespräch, weil wir dachten, dass die Art, wie Anna Theater macht, und die Art, wie das Stück geschrieben ist, sehr gut zueinander passen könnten.
Inwiefern?
MEY: Eugène Ionesco war eigentlich vom klassischen Theater genervt. Er hat versucht, neue Formen zu finden und war mit dem Vorwurf konfrontiert, ein "Antitheater" zu machen. Aber im Grunde wollte er das Theater wieder lebendig machen. Er ging mit Sprache ganz anders um. Er untersuchte, wie Sprache ihre Bedeutung verliert und wie man die Absurdität des menschlichen Daseins spürbar machen kann. Damit handelte er sich viel Unverständnis ein. Aber er wollte nur das Beste für das Theater. Auch in Annas Inszenierungen spürt man eine Theatersprache, die nach dieser Lebendigkeit sucht, anstatt auf etwas zurückzugreifen, das schon hundert Mal gesehen wurde.
MARBOE: Ionesco schimpfte auf das Theater, aber aus einer Liebe heraus, weil es ihm nicht egal war. Das absurde Theater zielt darauf ab, einem vor Augen zu führen, wie skurril es ist zu existieren. Das ist auch mein Anliegen: Anzuerkennen, dass man ein absurdes Leben in einer absurden Welt führt.
Es ist eine Einladung, die Absurdität des Lebens mit einer gewissen Leichtigkeit und Verspieltheit anzunehmen.
Wie zeigt sich das in der Inszenierung?
MARBOE: Es geht viel um Unvorhersehbarkeiten. Immer wenn man glaubt, man hat etwas verstanden, wird man wieder irritiert, überrascht oder erfreut. Das ist wie im Leben. Man glaubt, man hat einen Plan und dann passiert etwas völlig Unvorhergesehenes. Mir macht das beim Theater am meisten Spaß: Dass nicht immer logischerweise eins zum nächsten führt, sondern dass man Gesetze aufheben kann, denen man in der Welt unterworfen ist.
Dem absurden Theater wird oft nachgesagt, dass es dem Publikum vor den Kopf stößt.
MARBOE: Das passiert aus einer großen Menschenliebe heraus. Es ist eine Einladung, die Absurdität des Lebens mit einer gewissen Leichtigkeit und Verspieltheit anzunehmen. Es gibt effizientere Arten sich zu bewegen als zu tanzen. Aber genau das ist das Schöne am Tanzen. Oder eine Sprache zu finden, die ineffizient gestaltet ist und genau deshalb Spaß macht. Das ist das Besondere am Theater: Dass man nicht das Effizienteste macht, sondern das, was anstrengender und deswegen schöner ist. Es heißt ja Schauspiel und nicht Schauarbeiten. Das darf man nicht vergessen.
Es ist oft davon zu lesen, dass "Die Nashörner" im Hinblick auf Faschismus und Totalitarismus geschrieben wurde. Aber euer Ansatz ist ein anderer?
MEY: Ionesco schrieb es Ende der 1950er, und hatte mitbekommen, wie sich in den 1930er in Rumänien die Massen dem Faschismus anschlossen. Das war definitiv der Auslöser für die Idee zum Stück. Aber er macht dann mehr daraus und löst sich beim Schreiben des Stücks von der konkret historischen und politischen Folie. Er behandelt das Thema der Verführbarkeit von Massen aus einer viel grundsätzlicheren Perspektive. Einerseits sind wir auf Zugehörigkeit angewiesen, andererseits ist es unmöglich, sich einer Masse komplett anzugleichen, weil wir Individuen sind. In diesem Widerspruch liegt ein großes Gefühl von Absurdität—und um diese urmenschliche Erfahrung geht es.
MARBOE: Es wird im Stück nie gesagt, für was die Nashörner stehen oder was sie machen. Es wird auch immer unterschiedlich über sie geredet. Sind sie eine Krankheit, eine Epidemie, kann man sich entscheiden, ein Nashorn zu werden oder passiert es einfach? Es ist alles sehr vage gehalten. Es geht nicht darum, wem man nachläuft, sondern warum man so gerne gemeinsam läuft.
Ist Widerstand einfach Verweigerung? Reicht es, nein zu sagen, oder muss man zu etwas anderem ja sagen.
Es gibt im Stück die Hauptfigur des Behringer, der sich als einziger nicht in ein Nashorn verwandelt.
MARBOE: Als ich das Stück das erste Mal gelesen habe, fand ich es lustig, dass Behringer so ein Antiheld ist, dem alles zu anstrengend ist und der sich für einen Künstlertypen hält. Er ist eigentlich für etwas höheres bestimmt, aber zu müde für alles. Seine Weigerung, ein Nashorn zu werden ist gar nicht ein aktiver Akt des Widerstands, sondern eine Trägheit. Das wirft die Frage auf, was Widerstand bedeutet. Ist Widerstand einfach Verweigerung? Reicht es, nein zu sagen, oder muss man zu etwas anderem ja sagen. In der Hinsicht ist Behringer ein ambivalenter Typ, weil er nicht in die Gänge kommt, bis es viel zu spät ist.
Mit welchen Mitteln wird auf der Bühne gearbeitet?
MARBOE: Ich arbeite sehr gerne mit viel Musik. In dieser Inszenierung wollten wir über das Mittel der Musik herausfinden, wie sich die Nashörner anfühlen und warum man Teil von ihnen sein will. Um es offen zu lassen, wer sie sind, darf man allerdings keine Musik verwenden, die man kennt oder einen Text, der etwas aussagt. Das heißt, es muss möglichst eingängig und seicht sein. Es darf einerseits nichts bedeuten, muss aber richtig Spaß machen. So sind wir auf Popmusik gekommen, die konkret genug ist, dass man sich damit identifizieren kann, aber abstrakt genug, damit sich möglichst viele damit identifizieren können. Um diese Massentauglichkeit auf die Spitze zu treiben habe ich angefangen, mich mit KI-generierter Musik auseinanderzusetzen, die in diesem konkreten Fall so gut passt, weil die Musik nichts Menschliches hat. Im ersten Moment spricht sie eine breite Masse an, ist im Herzen jedoch leer, da sie nur bereits existierende Formen kopiert.
Wir wollen, dass man über das Erleben rausfindet, was das Stück bedeutet und gar nicht so sehr über den Kopf.
Mit welchem Gefühl geht das Publikum im besten Fall von diesem Abend nach Hause?
MEY: Die Leute dürfen mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass sie was erlebt haben. Wenn viel im Kopf passiert, ist das gut. Aber man darf auch einfach nur eine pure Theatererfahrung machen. Einfach offen sein und wirken lassen, was da passiert und was mit einem passiert. So esoterisch das klingen mag, Ionesco hat das so gemeint, und wir meinen das auch so. Wir wollen, dass man über das Erleben rausfindet, was das Stück bedeutet und gar nicht so sehr über den Kopf.
"Die Nashörner" von Eugène Ionesco in der Regie von Anna Marboe ist ab dem 3. April 2025 auf Bühne 1 des Münchner Volkstheaters zu erleben.