Das Gehör von Schweinen
Datum
Interview: Luise Otto
Ihr seid in erster Linie Komponist. Wie arbeitet ihr in der Produktion von Konzerten oder Events?
Michael Hope: Wir interessieren uns eher dafür, Events zu komponieren statt nur Musikstücke zu schreiben. Das Ganze ist eine ganzheitliche Erfahrung für das Publikum. Ich würde sagen, ein Schlüssel unserer Arbeit ist, dass einer von uns eine Idee für ein Konzert oder Event entwickelt und es dann dem Rest des Ensembles mitbringt. Dann arbeiten wir kollektiv, um herauszufinden, wie die Elemente zusammen funktionieren und wie sie auf der Bühne aussehen könnten.
Der Begriff Neue Musik beinhaltet radikale Musik verschiedener Richtungen.
Ihr arbeitet mit Geräuschen, Musik und ASMR. Wie würdet ihr das Genre der Musikstücke bezeichnen?
Dylan Richards: Ich denke, der Begriff den wir oft nutzen, ist Neue Musik. Das ist eine Art Oberbegriff für Musik, die sich aus dem musikalischem Modernismus, besonders in Europa und Deutschland im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Der Begriff Neue Musik beinhaltet radikale Musik verschiedener Richtungen. Besonders in der Art wie sie in Dänemark existiert sind wir dann sozusagen die zeitgenössische Version davon. Aber natürlich gibt es innerhalb dieses Bereichs verschiedene Strömungen.
Wie ist diese Vermischung Teil von "À la carte"?
Michael: Das Konzert geht generell in eine theatrale Richtung. Aber das hat vielleicht auch mit der Prämisse des Konzerts zu tun, die sich um die Erfahrung des Essens zentriert, die ja an sich schon irgendwie theatral ist.
Ist eure Musik und die Performance dazu improvisiert? Ist jede Performance dann gleich oder variiert sie Abend für Abend?
Michael: Nun ja, in diesem spezifischen Konzert variiert das zwischen den verschiedenen Teilen, die wir performen, sehr. Zum Beispiel: Der erste Teil von Fraz Ireland ist ein Stück, in dem die Partitur ein geschriebenes Menü ist. Die Idee ist, dass wir diese Gerichte haben, die wir bestellen sollen, aber wie wir das machen, ist uns Performern überlassen. Auf eine Art ist das improvisiert. Aber es gibt auch eine Sequenz mit einem Video, die immer gleich bleibt. Es variiert also von Szene zu Szene.
Ihr nutzt auch die Musik anderer Komponist*innen. In diesem Stück seid ihr also vor allem Performer. Was denkt ihr, ist das Spannende an dieser performativen Arbeit?
Dylan: Der Fakt, dass wir interpretieren, nicht nur im Sinne von performen, weil manche der Stücke, wie beispielsweise das erste, uns als Performern auf eine sehr kreative Art und Weise beansprucht. Wir haben die Umsetzung dieses Stücks selbst im Probenprozess inszeniert und die Reihenfolge des Konzerts noch sehr kurz vor der ersten Performance verändert. Wir haben auch besondere Recherchen gemacht. Zum Beispiel haben wir untersucht, was das Tier, für das wir performen, für Geräusche gehört hätte, oder welche Geräusche es gemocht hätte. Wir haben also Artikel über das Gehör von Schweinen gelesen, und Studien über musikalischen Genuss bei Schweinen. Und ihre Ernährung.
Also seid ihr jetzt Schweineexperten. Nicht schlecht.
Michael: Das kann man so sagen.
Wir wollten eine bestimmte Konzeption, in der sie mit etwas Mysteriösen und Grotesken kombiniert wird und etwas Unheimlichem.
Ich habe mich gefragt, was ihr daran interessant findet, Konzerte für tote Tiere zu machen. Spielt ihr einfach damit gerne oder seht ihr das als eine Art Meta-Kritik von Tierfabriken?
Michael: Also, ich meine, der ursprüngliche Grund, warum wir das ins Programm aufgenommen haben war, weil das Thema des Konzerts eine Dinner-Party ist. Wir wollten eine bestimmte Konzeption, in der sie mit etwas Mysteriösen und Grotesken kombiniert wird und etwas Unheimlichem. Weil das Stück irgendwie ASMR ("Autonome sensorische Meridianreaktion") ist, hat es etwas Hypnotisierendes. Fraz’s Teil ist auch von ASMR-Praktiken inspiriert. Also diese zwei Stücke haben sich so angefühlt, als funktionierten sie zusammen sehr gut.
Was hält die einzelnen Abschnitte denn generell zusammen?
Dylan: Das ganze Konzert steht unter der Prämisse des Krimis. Aber es gibt einen Abschnitt darin, der aus der Perspektive des Hundes der Familie gesehen wird. Also gibt es viele Punkte, an denen sich die Szenen tangential berühren.
Mehr zur Autorin
Luise Otto ist 20 Jahre alt und studiert Theaterwissenschaft an der LMU in München. Sie arbeitet im Kulturressort bei M94,5, dem Münchner Studierendenradiosender. Bei Radikal jung freut sie sich am meisten auf die Arbeit mit anderen jungen Erwachsenen und die Theaterabende, in denen junge Regisseur*innen das Theater für sich einnehmen.