Stefan Hageneier auf einer Holzbank im Volkstheater

Stefan Hageneier im Portrait

Ein Gespräch mit und über Stefan Hageneier

Autorin: Nina Mohs / Portraitfoto: (c) Robert Brembeck

Der Kostüm- und Bühnenbildner wartet im Schmock, der neuen Theatergastronomie im Volkstheater. Neben ihm eine kleine Reisetasche – Stefan Hageneier muss gleich im Anschluss weiter. Er ist viel unterwegs, unter anderem für seine Professur in Kostüm- und Bühnenbild an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Der Zug sei mittlerweile sein fahrendes Büro, sagt er. Der Laptop ist immer dabei, seit neuestem fertigt er sogar seine Zeichenarbeiten digital an.

Figurinen zu "Über Menschen" (c) Stefan Hageneier

Stefan Hageneier ist viel rumgekommen in den über 30 Jahren seiner bisherigen Karriere. Wien, Zürich, Berlin, Dortmund, München, Hamburg…Die Liste ist lang. Mit seinen Kostüm-und Bühnenarbeiten war er an zahlreichen deutschsprachigen Theatern vertreten, hat neben Christian Stückl mit Theatergrößen wie Robert Wilson oder Dieter Dorn zusammengearbeitet. Doch einem Ziel bleibt er seit Jahren treu: Dem Volkstheater München und eben seiner Zusammenarbeit mit Intendant und Regisseur Christian Stückl. Beide stammen aus Oberammergau, beide haben in ihrem ersten Beruf Holzbildhauerei gelernt, beide hatten aber andere Pläne.

Nachdem Christian Stückl vom Gründer einer eigenen Theatergruppe zum jüngsten Leiter der Oberammergauer Passionsspiele wird, stellt er 1990 für seine erste Inszenierung der Passion Stefan Hageneier als Darsteller ein. Hageneier ist zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 17, als "der Christian ihn zum Engel gemacht" hat. Danach will er zum Theater. Der nächste logische Schritt sei eigentlich ein Studium an der Kunsthochschule gewesen, doch an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart läuft er zufällig Jürgen Rose über den Weg. Der Kostüm-und Bühnenbildner habe ihn direkt als "den Engel von den Passionsspielen" erkannt, erzählt Hageneier. Statt dem Studium wird es eine Assistenz an den Kammerspielen, bei Rose persönlich. Von diesem Moment an findet Hageneier seinen Weg in die Kostüm-und Bühnenbildnerei.

Die Passionsspiele mit Christian Stückl und Operninszenierungen in Oberammergau bleiben aber immer eine Konstante. 2011 folgt die erste Zusammenarbeit am Volkstheater: Die Dreigroschenoper. Das sei eigentlich ganz schön, dass genau diese Arbeit auch noch heute im Volkstheater laufe, gibt Hageneier zu. Er und Stückl arbeiten auf einer absoluten Vertrauensebene. Nach den vielen Jahren wisse man natürlich, in welche Richtungen man gehen könne in den Anfertigungen der Ideen, aber Christian lasse ihm eigentlich immer den Raum und ist offen für seine eigenen Vorstellungen.

 

Figurinen in der Kostümabteilung des Münchner Volkstheaters
Anne Stein und Maral Keshavarz auf der Probe zu "Über Menschen" im Kostüm

Im Gegensatz zu vielen anderen Kostüm-und Bühnenbildner*innen, die mittlerweile oft während dem Probenprozess ihre Ideen entwickeln, fertigt Hageneier feste Figurinen an. Das bedeutet konkret, dass er die Kostüme für die jeweiligen Figuren zeichnet und meistens auch genauso umsetzt. Der Prozess zur Figurine aber ist ein langer Weg. Denn bevor etwas zu Papier gebracht werden kann, so sagt Hageneier, müsse er erst die Figur selbst finden. "Die Figurine ist nicht nur eine Ableitung aus verschiedenen Einflüssen", erklärt er. Sie sei keine realistische Abbildung eines Milieus, denn für ihn sei die Bühnenrealität ein Ort der Überzeichnung und Stilisierung. Bevor er etwas zeichnen kann, "muss ich die Figur stark empfinden", sagt er. 

Deswegen müsse bspw. die Rolle der Franzi in Stückls kommender Inszenierung von Juli Zehs Roman Über Menschen auch ein feenähnliches Kleid tragen. In seiner Vorstellung der Figur sei Franzi fast schon ein poetisches Wesen. Dora dagegen ist ein Großstadthipster in einer großen ausgestellten kurzen Latzhose, die etwas überzogen und fast wie ein Holzschnitt wirke. Stefan Hageneier lacht immer wieder auf vor Freude, wenn er über seine Figurinen spricht. Sie sind das Ergebnis seiner eigenen Grübeleien und vor allem seiner Fantasie, die wie er betont, mit die verlässlichste Stimme in seinem Schaffensprozess sei.

Die Figurine ist nicht nur eine Ableitung aus verschiedenen Einflüssen.

Sind die Zeichnungen fertig gehen sie an die Kostümabteilung des Hauses. Hier geht es um die Umsetzung der Vorlage, die Vollendung von Hageneiers geformten Figurinen. Er lege viel Wert auf die Stoffe, die Details und die Farben, erzählt Margit Faigle, die Leiterin der Kostümabteilung. Die Suche nach den richtigen Materialien sei aufwendig, Schuhe und sogar Strickwaren werden für Hageneiers Kostüme teilweise extra angefertigt. Manchmal fänden sie so schöne Stoffe und Schnitte, erzählt die stellvertretende Leitung Annette Schöwel, um diese dann schweren Herzens zu patinieren, zu zerschneiden oder löchrig zu schmirgeln.

Am Ende entspringen aber genau diese Details auch Stefan Hageneiers Gesamtkonzept, entstanden aus seiner eigenen Fantasie. Auf die Frage woher er all diese Details habe und ob er eine riesige Stoffsammlung besitzen würde, antwortet er nur "das ist alles in meinem Kopf". Und angeschaut hätte er sich auch viel, sogar so viel, dass man ihn damals aus dem Buchhandel König geschmissen hat, weil er alle Bücher durchgeblättert, aber nie gekauft habe, erzählt er lachend.

Kostüme zu "Über Menschen" in der Kostümabteilung

Stefan Hageneiers neueste Arbeit zur Uraufführung von "Über Menschen" in der Regie von Christian Stückl ist ab 21. Januar 2022 am Münchner Volkstheater zu sehen. Vorstellungstermine finden sich hier.