"Wir Menschen verheddern uns immer wieder im 'Copy/Paste'."
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Interview: Julia Rothhaas
Herr Stückl, "Don Karlos" ist eines der bekanntesten Stücke von Friedrich Schiller. Am 2. März feiert Ihre Inszenierung am Münchner Volkstheater Premiere. Können Sie kurz zur Erinnerung zusammenfassen, um was es in dem Stück geht?
CHRISTIAN STÜCKL: Es geht im Grunde um einen Vater-Sohn-Konflikt, der aber weltgeschichtliche Auswirkungen hat. Das Drama spielt in Spanien im Jahr 1568 und das Königreich von König Philipp funktioniert nur, indem er sein Volk unterdrückt. Der Marquis von Posa plädiert hingegen für mehr Freiheit. Doch seine Visionen für einen Umschwung zerschlagen sich, nachdem er versucht, seinen Freund, den Kronprinz Don Karlos, für sein Vorhaben zu gewinnen. Der ist nämlich unglücklich verliebt und dadurch viel zu sehr mit der Liebe beschäftigt; darüber hinaus leidet er an der Beziehung zu seinem gefühlskalten Vater. Die große Hoffnung auf Veränderung scheitert also am Kleinen, und es geht weiter, wie eh und je. Bis heute verheddern wir Menschen uns immer wieder im "Copy/Paste" und machen vieles genauso, wie wir es schon gestern gemacht haben.
Schiller schrieb das Stück zwei Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution und war davon besessen: Bis zu seinem Lebensende hat er dieses Drama wieder und wieder umgeschrieben, erweitert, ergänzt. Ist es schwer, aus diesem Werk eine eigene Version herauszufiltern?
Schillers Text ist sehr lang. Von über 50.000 Wörtern habe ich bis jetzt schon mehr als die Hälfte gestrichen, ohne das Wesentliche zu verlieren – und trotzdem ist meine aktuelle Fassung noch vier Stunden lang. Ich muss also weiter kürzen bis zur Premiere, das ist gar nicht so einfach. Denn Schillers Sprache gilt als heilig. Während es von Shakespeares Stücken ständig neue Übersetzungen gibt, weil man sie ins Heute bringen möchte, bleibt Schiller unangetastet. Mir ist das Original für die Bühne zum Teil aber zu sperrig. Wenn König Philipp beispielsweise sagt: "Ich kann sie nicht lieben", heißt das im Grunde, dass er Erektionsprobleme hat. So etwas kann man in 2025 schon konkreter machen.
Warum haben Sie sich jetzt für dieses Stück entschieden?
Weil wir alle ständig Ausreden für alles Mögliche finden und um den heißen Brei reden, selbst wenn wir wissen, dass Veränderung notwendig ist. Bestes Beispiel: Klimawandel. Da höre ich immer wieder, dass man ja gar nichts mehr tun kann, also jede Bemühung oder Anstrengung eigentlich egal ist. Auch im Theater besteht die Gefahr, in einer Blase hängenzubleiben. Eine Riesendebatte ist aktuell zum Beispiel, dass Schauspieler nicht mit der Figur verwechselt werden dürfen, die sie spielen. Das Spiel soll immer sichtbar bleiben. Dabei ist doch genau das die Verabredung, die Magie des Theaters, dass jeder Zuschauer natürlich weiß, dass der Schauspieler den Mörder nur spielt, aber natürlich keiner ist. Das finde ich völlig verkehrt.
Ich werde immer wieder gegenhalten, wenn jemand in seiner 'Gedankenfreiheit' völlig eingefahren ist.
In dem Stück sagt der Marquis: "Geben Sie Gedankenfreiheit"...
Einer der Sätze, die ich am liebsten streichen würde!
Schaffen wir das eigentlich, anderen diese Freiheit auch zu schenken, die wir gerne fordern?
Gedankenfreiheit ist ein sehr kompliziertes Konstrukt, aber für mich bedeutet es, dem anderen zum Beispiel in politischen Diskussionen entgegenzutreten und zu sagen: Lass uns doch mal gemeinsam darüber nachdenken, was du meinst. Manchmal steckt hinter vehementen Forderungen ja etwas ganz anderes. Ich werde immer wieder gegenhalten, wenn jemand in seiner "Gedankenfreiheit" völlig eingefahren ist.
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Im Jahr 2007 haben Sie "Don Karlos" schon einmal inszeniert. Was war Ihnen bei der Inszenierung vor zwanzig Jahren wichtig?
Es ist mir unangenehm, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was ich damals genau gemacht habe. Ich weiß nur noch, dass Barbara Romaner, Nico Holonics und Friedrich Mücke in den Hauptrollen zu sehen waren.
Ist die Wahl auf dieses Stück jetzt denn auch gefallen, weil man die Rückkehr zum Konservatismus überall beobachten kann? Ja. Manchmal bedauere ich, dass auch wir uns im Klein-Klein verstricken, während wir viel größere, wichtigere Debatten zu führen haben.
"Don Karlos" von Friedrich Schiller in Regie von Christian Stückl ist ab dem 2. März 2025 auf Bühne 1 des Münchner Volkstheaters zu sehen.