Trauer ohne Worte
Datum
Text: Lara Osin
"Goodbye, Lindita" ist ein poetischer Abschied, eine bildliche Meditation über das Trauern. Mario Banushi hat ein Stück über seine tote Stiefmutter geschrieben und verarbeitet so mithilfe des Theaters und ohne Worte seine eigene Trauer und die Trauer seiner Familienmitglieder.
Das Bühnenbild ist schlicht gehalten, ein Wohnbereich mit einem Fenster auf der rechten Seite, die Eingangstür auf der linken. Ein Bett, ein Fernseher, ein Tisch und eine Kommode – und ein auffälliges goldenes Bild, das präsent in der Mitte des Raumes an der Wand hängt: die Madonna Nera.
Im Hintergrund spielt leise Radiomusik, zunächst passiert nicht viel. Im Raum ein Mann, eine ältere Frau mit grauen Haaren und eine jüngere Frau. Sie verrichten einfache Hausarbeiten, saugen Staub und falten Wäsche. Kurz bevor das Publikum sich zu langweilen beginnen könnte, passiert etwas Unerwartetes. Die Kommode wird in die Mitte des Raumes geschoben und von den Spieler*innen zu einem Bett aufgeklappt. Darin liegt: eine nackte Frau. Sie hat die Augen geschlossen und liegt einfach nur da. Spätestens als die ältere Frau herzzerreißend zu schluchzen anfängt, ist klar, diese Frau schläft nicht nur in diesem Augenblick, sondern für immer.
Der Mann nimmt einen Anruf entgegen, redet leise, lacht kurz und legt wieder auf, um sich dann ins Bett zu legen und verborgen unter der Decke, ohne einen einzigen Ton von sich zu geben, bitterlich zu schluchzen. Sein Körper bebt vor Trauer. Die Musik unterstreicht die Handlung, drängt sich aber nicht auf. So spielt leise Klaviermusik, als zwei weitere Frauen die Bühne betreten – ohne zu reden und ganz langsam – so als grause es ihnen vor dem, was sie gleich sehen werden. Sie wischen den nackten Körper der Frau mit Stofftüchern ab und bewerfen ihn symbolisch mit Erde.
Es schließt sich eine Szene an, die die Zuschauer*innen zweifeln lässt: Ist die Frau wirklich tot?
Zu Operngesang steht die Tote dann plötzlich auf, stellt sich in die Mitte der Bühne, blickt in den Zuschauerraum und wird von einem warmen, hellen Licht erleuchtet. Fast eine Minute steht sie so da, bevor sie unter lauter werdender Musik in eine Badewanne (welche Sekunden zuvor noch ein Bett war) steigt. Sie wird von den anderen gewaschen, erst langsam, dann sind die Hände überall und versuchen ihren Körper grob, gar panisch zu greifen, als würde er ihnen langsam, aber sicher entgleiten.
Es schließt sich eine Szene an, die die Zuschauer*innen zweifeln lässt: Ist die Frau wirklich tot? Oder wird sie doch nur auf ihre Hochzeit vorbereitet? Ihr wird ein weißes Seidenkleid übergestülpt, darüber ein traditioneller roter Umhang. Nun wird laute fröhliche Musik gespielt, die mit Feuerwerksgeräuschen endet. Der Frauenkörper wird ins Bett gelegt und mit Blumen bedeckt.
Der Raum wird in ein orangefarbenes Licht getunkt, es breitet sich eine ruhige, sinnliche Stimmung aus und der Geruch von Weihrauch. Diese Stille wird von plötzlichen Schüssen und dem Geräusch einer Polizeisirene schlagartig unterbrochen. Die anderen Familienmitglieder reißen sich nun auch die Gewände vom Körper, so als steckten sie in ihnen fest und könnten unter der Kleidung nicht mehr atmen. Das Bild der Madonna wird abgehängt. Alle bis auf die ältere Frau gehen von der Bühne, die sich nun nach hinten öffnet, eine menschgewordene Madonna preisgibt. Im Nebel kriecht die nackte, ältere Frau zur Madonna. Diese macht ihre Brust frei, und drückt die ältere Frau an sich. Das Licht geht aus. Ein stiller, aber großer Abend, der intime Einblicke in das reale Schicksal von Banushis Familie gibt und es schafft – ganz ohne Worte – zu berühren.
Mehr zur Autorin
Lara Osin ist 20 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Ulm. Sie studiert Kommunikationswissenschaft an der LMU. Bevor sie nach München gezogen ist, hat sie über 10 Jahre im Freilichttheater in Heidenheim an der Brenz gespielt. Jetzt schreibt sie Artikel bei der Studentenzeitung "Philtrat", vor allem über Kunst und Kultur.