Gondelgschichten

Alpine Seilschaften

Autoritär agierende Regie-Genies? Nichts für Felix Hafner, der lieber im Kollektiv arbeitet – und an der Schnittstelle von Theater und Journalismus brisante Phänomene aufdeckt: wie in "Gondelgschichten" über die exzessiven Auswüchse des Wintertourismus.

Text: Ivona Jelčić

Am Ballermann der Alpen hinterlässt nicht nur der Einkehrschwung seine Spuren im Schnee, sondern auch das Erbrochene feierwütiger Urlaubsgäste. Der Fotograf Lois Hechenblaikner dokumentiert die exzessiven Auswüchse des alpinen Wintertourismus seit Jahren, für die am Tiroler Landestheater uraufgeführten "Gondelgschichten" hat er aus hunderten bunten Bruchstücken von Wintersportgeräten eine Installation mit dem Titel "Après Ski" gebaut. Sie wirkt im Vergleich zu seinen Bildern aus der Tourismushochburg Ischgl eigentlich eher harmlos, doch allmählich sickert die Botschaft: Auch auf den Hinterbühnen der Tiroler Tourismusindustrie ist kaum noch etwas heil, der Schein muss trotzdem unbedingt gewahrt werden.

Zunächst aber zeigt die Realität der Satire, wo in Tirol der Hammer hängt. Das klingt dann in etwa so: "Das, was der Gletscher aufgrund von der anscheinenden Erwärmung speziell im Sommer verliert, geben wir dem Gletscher in Form von Schnee ja dann wieder zurück. Und Schnee, sag ich immer, isch das (sic!) Sonnencreme für das Gletschereis". Oder so: "Die Natur darf in unserem Business überhaupt keine Rolle spielen." In letzter Zeit aber auch öfter so: "Wir haben alles richtig gemacht."

Wären diese Aussagen über die segensreiche Wirkung von Schneekanonen, den Stellenwert der Natur im Geschäft mit der Sehnsucht nach den Alpen oder das Corona-Krisenmanagement in Ischgl erfunden, man wäre geneigt, ihnen einen übertriebenen Hang zum Absurden zu attestieren. Oben erwähnte Zitate, von vier Darsteller*innen in hochkomischen Lip-sync-Szenen vorgetragen, stammen aber allesamt von Vertretern aus der Tiroler Politik und Fremdenverkehrsindustrie.

Institut für Medien, Politik & Theater © Tobias Pichler
Systemische Verstrickungen von Seilbahnwirtschaft und Politik

Mit einer launigen Lesung aus rustikalen Selbst- und Welterklärungen begnügen sich die "Gondelgschichten" aber keineswegs, auch nicht mit den reichlich vorhandenen Medienberichten über den Fall Ischgl, der an sich schon viel Stoff für ein Dokumentartheater-Projekt hergeben würde. Für das von der Dramaturgin Emily Richards, der Journalistin Anna Wielander und dem Regisseur Felix Hafner in Wien gegründete Institut für Medien, Politik und Theater war der Ischgl-Skandal vielmehr der Ausgangspunkt für weiterführende Ermittlungen in der Tiroler Bergwelt und den systemischen Verstrickungen von Seilbahnwirtschaft und Politik. Von der interdisziplinären Arbeit an der Schnittstelle von Journalismus und Theater hätten am Ende beide Seiten etwas, ist Hafner überzeugt: "Das Theater profitiert davon, weil wir uns auf eine ganz zeitaktuelle Weise mit der Realität auseinandersetzen können. Und umgekehrt kann das Theater dort, wo der Journalismus an seine Grenzen stößt, Dinge offenlassen, Fragen und Widersprüche in den Raum stellen, die ausgehalten werden müssen – ohne Anspruch auf eindeutige Antworten."

Die Vorstellung vom autoritär agierenden Regie-Genie entspricht nicht seinem Theater-Verständnis, vielleicht auch eine 'Generationen-Frage', sagt Hafner selbst.
"Gondelgschichten"

"Gondelgschichten"

"Gondelgschichten"

"Gondelgschichten"

"Gondelgschichten"

"Gondelgschichten"

"Gondelgschichten"

"Gondelgschichten"

Überkommene Theater-Strukturen

Das Arbeiten im Kollektiv hat für den 1992 in der Steiermark geborenen Hafner nach einem ziemlich bemerkenswerten Karrierestart zunehmend an Bedeutung gewonnen. Von dem von ihm bereits zu Schulzeiten regelmäßig frequentierten Theaterzentrum im steirischen Deutschlandsberg ging es zum Regie-Studium ans Wiener Max-Reinhardt-Seminar und alsbald auch ans Wiener Volkstheater. Für seine dortige Inszenierung von Molières "Der Menschenfeind" wurde der damals 25-Jährige mit dem österreichischen Nestroy-Theaterpreis als bester Nachwuchsregisseur ausgezeichnet und ließ mit Aussagen über die überkommenen hierarchischen Strukturen in der Institution Theater aufhorchen. Die Vorstellung vom autoritär agierenden Regie-Genie entspricht nicht seinem Theater-Verständnis, vielleicht auch eine "Generationen-Frage", sagt Hafner selbst. Während des Studiums am Reinhardt-Seminar seien demokratischere Herangehensweisen aber eher weniger Thema gewesen. Er selbst habe allerdings "immer schon das Bedürfnis gehabt, jenseits der klar zugeteilten Positionen zu arbeiten und dieses hierarchische Gefälle abzubauen." Die ersten Arbeitsjahre, sagt Hafner heute, "waren ein ziemlicher Findungsprozess. Mir geht es grundsätzlich eher darum, gewisse Arbeitsprozesse zu strukturieren und dann auch Arbeitssituationen zu ermöglichen, in denen sich viele Personen einbringen können. Ich musste aber erst herausfinden, wie man das implementieren kann, wie das zusammengeht. Es hat sich dann immer mehr in Richtung Kollektivarbeiten, aber auch Textentwicklungsarbeiten bewegt."

Erklärter Teamplayer

Die Klassiker der Theaterliteratur interessieren Hafner gegenwärtig kaum mehr, Kollektive scheinen für ihn auch das richtige Umfeld für spartenübergreifende Projekte zu bieten. Der Regisseur gehört etwa auch dem Wiener Franz Pop Collective an, das mit Popmusik an verschiedenen Erzählformaten arbeitet. Unterschiedliche Ebenen zusammenbringen und schauen, ob daraus vielleicht neue Formen entstehen können, das Theater öffnen, seine Grenzen ausreizen: Darin liege eines seiner zentralen Interessen, sagt der erklärte Teamplayer, der im Gespräch zurückhaltende Besonnenheit ausstrahlt. Und der in den letzten Jahren auch mit einer Reihe von Romanbearbeitungen von sich reden machte, darunter Fjodor Dostojewskis "Die Dämonen" und "Herkunft" von Sasa Stanišić‘ am Münchner Volkstheater. Fasziniert habe ihn daran, dass man eine riesige literarische Welt vor sich habe, aus der man schöpfen und aus dem Material heraus eine eigene Vision entwickeln könne.

Rückblickend bezeichnet Hafner Inszenierungen wie diese auch als "ersten Schritt" in Richtung partizipatives Arbeiten, weil das Erarbeiten einer Bühnen-Adaption im engen Austausch mit dem Ensemble, manchmal auch mit dem Autor passiere. "Man hat sehr viel Material, das es nie reinschafft, das aber trotzdem da ist und an dem man mit den Schauspieler*innen arbeiten kann."

"Gondelgschichten"
Speichellecker der Tourismus-Industrie

Was die Verbindung von Theater und investigativem Journalismus betrifft, sieht Hafner darin eine weitere Möglichkeit, "unsere mitunter extrem überfordernde und komplex gewordene Gegenwart fassbar zu machen oder mit ihr umzugehen"“ Sicher: Mithilfe akribisch recherchierter Fakten lassen sich Machtsysteme und -zirkel offenlegen, die Kunst ist es aber, sie auch überzeugend auf der Bühne auszustellen. Das gelingt in den "Gondelgschichten" mit einem Plot, der sich bestens für ein fluides Vortragsformat irgendwo zwischen Schauspiel, Lesung und Performance eignet: Ein von der Politik bestellter Bürger*innenrat soll Strategien für die Zukunft des Tourismus erarbeiten. Vier Mitglieder dieses 50-köpfigen Gremiums berichten – umrahmt von Tiroler Adler-Logos (Ausstattung: Julia Neuhold) – von ihrer Arbeit und repräsentieren dabei unterschiedliche Typen: Den Speichellecker der Tourismusindustrie (Florian Granzner), den opportunistischen Bürokraten (Kristoffer Nowak), die zum Zynismus neigende Pragmatikerin (Antje Weiser), den erregten Naturschützer (Jan-Hinnerk Arnke).

Wenig überraschend ist man sich untereinander nicht ganz grün, schon gar nicht in Greenwashing-Fragen. Coram publico werden denn also Diskussionen über teuer eingekaufte, aber wirkungslose Klimaneutralitäts-Siegel (Ischgl) oder die Tiroler "Dreifaltigkeit" aus Bürgermeistern, Seilbahnern und Tourismusmanagern geführt. Von hier aus ist der Weg auch nicht mehr weit zu patriarchalen Selbsterhaltungs-Strukturen im politischen Tagesgeschäft. Dort führen weder skandalöse Sexismus-Sager noch misogyne Beschimpfungen ("widerwärtiges Luder") zu Rücktritten, sondern ins Landeshauptmann-Stellvertreter-Amt.

Wachsende Möglichkeitsräume

Gemeinsam mit seinen Partnerinnen Richards und Wielander vom Institut für Medien, Politik und Theater hat Hafner auch schon einen österreichischen Medienmogul und die Methoden des Boulevards ("Die Fellner Lesung") sowie einen Gerichtsfall ("Der Fall Julia K.") unter die Lupe genommen. Auch über die rund ein Jahr dauernden Recherchen für die "Gondelgschichten" wurde einiges aufgedeckt, bloß kommen die Dinge hier zuerst auf der Bühne ans Licht, bevor sie in der Zeitung stehen. Auch das gewissermaßen ein Schritt zur Demokratisierung? "Unsere Projekte sind auf der einen Seite Theaterabende, auf der anderen Seite sind aber auch die Recherche-Ergebnisse für sich relevant", sagt Hafner. Und spricht von "Grassroot"-Unternehmungen, die stetig wachsend neue Möglichkeitsräume schaffen.

Wenn die Recherche-Bombe platzt

Über die Projekte des Instituts für Medien, Politik und Theater gelinge es, "eine sehr langfristige Recherche auf die Beine zu stellen, die in vielen Medien so einfach gar nicht möglich ist." Wo die Recherche-Bombe dann zuerst platzt, ist eigentlich nebensächlich. In Innsbruck platzten die Vorstellungen der "Gondelgschichten" jedenfalls aus allen Nähten, weshalb die Produktion an größerer Spielstätte in die Verlängerung ging. Mit laufenden Adaptionen, sie gehören zum Arbeitsprozess. "Auch die Zusammenarbeit mit dem Ensemble ist bei diesen Projekten nochmal kollektiver, weil wir als Institut gemeinsam mit dem Ensemble am Anfang immer zwei Wochen lang in die Recherche eintauchen." Den Weg zur Katharsis verfehlen die Mitglieder des ominösen Tiroler Zukunftsgremiums auf der Bühne jedenfalls grandios und mit Hang zur schrillen Übertreibung. Das gilt insbesondere für die Persiflage auf den Corona-Song "Tirol haltet zsamm". Der Slogan trifft ins Schwarze, jedenfalls was die Seilschaften zwischen Politik und Tourismus betrifft, die man am Ende auch dank Powerpoint-Präsentationen wesentlich besser als zuvor kennt.

Mehr zur Autorin

Ivona Jelčić

Ivona Jelčić, geboren 1975 in Innsbruck, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Romanistik. Sie war Ressortleiterin für Kultur in der Tiroler Tageszeitung und ist seit 2018 als freischaffende Kulturjournalistin und Autorin ("14 Tage 1918") tätig. Schreibt schwerpunktmäßig über bildende Kunst, Theater und gesellschaftspolitische Themen, als freie Kritikerin vornehmlich für die Tageszeitung Der Standard.