Ein Foto des FUGUE FOUR-Ensembles in akrobatischer Verknotung miteinander.

Ausdruck einer kollektiven Sehnsucht

Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann beschäftigen sich in "Fugue Four: Response" mit der sexuellen Konditionierung im Spätkapitalismus mit Pornografie, der Frage nach Repräsentation und der Suche nach Alternativen.

Interview: Katharina Mühl

Eure Inszenierung "FUGUE FOUR : RESPONSE" ist ursprünglich für das Porn Film Festival Vienna entwickelt worden, damit war das Thema Sexualität in gewisser Weise vorgegeben. Warum genau habt ihr euren Fokus auf den Körper als Reproduktion von gesellschaftlichen Normen gesetzt?

Olivia: Weil mich das Thema interessiert und beschäftigt. Das Porn Film Festival zeigt inklusivere und diversere Formen von Pornografie und versucht, Alternativen zur Mainstream-Pornografie zu zeigen. Diese Reflexion der uns allen nur zu gut bekannten mainstreampornografischen Bildwelten hat uns stark beeinflusst. Wie ist die genau beschaffen, was wird gezeigt, warum sehen wir uns da nicht repräsentiert? Wo hat das mit gewaltvollen Strukturen zu tun, auch mit Verletzungen, die wir erfahren haben? Und wie haben diese sich auch in die Sphäre von Social Media hinein verselbstständigt? Interessant ist auch, dass das Ausleben der eigenen Sexualität unter dem Blick einer Öffentlichkeit oder das Zeigen des eigenen Körpers auf Social Media eine große emanzipatorische Kraft hat und vor allem von queeren Menschen genutzt wird, um sich zu zeigen. Und gleichzeitig fragen wir in der Arbeit, wie Strategien der Selbstverwertung diesem Befreiungscharakter eigentlich entgegenstehen.  

Nick: Und ist das dann am Ende eigentlich sogar systemstärkend? Oder: wie weit kann ein Mensch sich befreien in einem Umfeld, das von vornherein auf maximale Unfreiheit ausgelegt ist? Ich würde auch noch ergänzen, dass es in der Arbeit nicht in erster Linie um Schönheitsideale geht – die sind natürlich Teil dessen. Aber bei uns wird der Körper als eine breitere Plattform für Symptomatiken der Zeit, in der wir leben, verhandelt: Wie hängt er mit dem Stadium des Spätkapitalismus zusammen, in dem wir uns befinden?

Olivia Axel Scheucher (c) Daniel Lichterwaldt
Wir formulieren ein kollektives Empfinden, das wir miteinander teilen. Wie ein Ausweg aussehen kann, ist nicht klar, aber es lohnt sich, nach einem zu suchen.
Nick Romeo Reimann
Nick Romeo Reimann (c) Olivia Axel Scheucher

Wie ich es verstehe, forscht ihr quasi in diesem Stück. Es ist nicht so, dass ihr am Ende ein Szenario habt oder eine Art Lösung, wie eine Befreiung von strukturellen Hierarchien aussehen könnte. Es ist eine Reise, die ihr gemeinsam mit dem Publikum unternehmt, oder?
Olivia: Ich glaube, das drückt sich vor allem in der Dramaturgie aus. Der Abend ist nonlinear, wie eine Collage, in der verschiedene Perspektiven aufeinanderfolgen. Am Ende gibt es einen Teil, zu dem jeder Mensch frei assoziieren kann. Wir maßen uns nicht an, für die angesprochenen Probleme Lösungen bereitzuhalten, wir wollen nicht didaktisch werden. Eher beleuchten wir Phänomene, die uns beschäftigen, aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Nick: Was wir in diesen letzten Bildern, die du grade angesprochen hast, vielleicht tun, ist eine Sehnsucht auszudrücken. Wir formulieren ein kollektives Empfinden, das wir miteinander teilen. Wie ein Ausweg aussehen kann, ist nicht klar, aber es lohnt sich, nach einem zu suchen.

Welche Rolle spielt Humor in eurer Inszenierung? 
Olivia: Wir haben uns dafür entschieden, das Publikum mithilfe von Komik oder auch durch rhythmische Passagen einzuladen. Also natürlich kann es sein, dass sie den Abend nicht lustig finden. Unser Style ist aber, würde ich sagen, auf jeden Fall eher Komödie statt Tragödie.

Nick: Wenn man ein Problem behandelt, von dem man selbst Teil ist und sich sozusagen selbst auf die Schippe nimmt, dann wird es ja auch schnell lustig. Humor ist also von Anfang an im Raum gewesen.

Es würde mich freuen, wenn der Blick dafür geschärft wird, ob etwas tatsächlich emanzipatorisch wirkt oder eigentlich nur sehr schlau eingebettet ist in neoliberale Strukturen.
Olivia Axel Scheucher

Wenn ihr euch etwas wünschen dürftet: Was würde das Publikum aus der Vorstellung mitnehmen?
Olivia: Es würde mich freuen, wenn der Blick dafür geschärft wird, ob etwas tatsächlich emanzipatorisch wirkt oder eigentlich nur sehr schlau eingebettet ist in neoliberale Strukturen. Denn unsere Erfahrung war, dass selbst wenn wir versuchen, den Blick auf Verschleierungstaktiken des Kapitalismus zu lenken, diese trotzdem oft übersehen werden und als befreiende und emanzipatorische Gesten gelesen werden. 

Nick: Ich könnte mir vorstellen, dass die Show, wenn es gut läuft, als Sehmaschine funktioniert, um eine fraktalisierte Front wieder sichtbar zu machen. Dass Dinge, die man vorher gefühlt hat, aber nicht so richtig definieren konnte, klarer erkennbar geworden sind.

Trailer "FUGUE FOUR: RESPONSE"

Mehr zur Autorin

Katharina Mühl (c) Moritz Lotze

Katharina Mühl liebt das Theater, wenn man vollständig in die Geschichten eintaucht und für einen Augenblick vergisst, dass man doch nur auf roten Samtsesseln einem Spiel zuschaut. Sie hat nach jahrelanger Arbeit an den Theaterbühnen selbst nun beschlossen, die Seiten zu wechseln und lieber als Kulturjournalistin Geschichten aus der Kunst zu erzählen. Diagnose: Süchtig nach guten Geschichten, geht deswegen nie ohne Buch oder Podcast außer Haus.