Ottessa Moshfegh (c) Jake Belcher

"Beim Schreiben gelingt es mir, mich von meinen Ängsten zu lösen."

In "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" erzählt die Autorin Ottessa Moshfegh über eine Frau, die mit Hilfe von Medikamenten ein Jahr verschlafen will. Ein Gespräch über das Gefühl, vom Erdboden verschwinden zu wollen und warum sie eine Workaholic ist.

Interview: Julia Rothhaas

Frau Moshfegh, Sie leben im kalifornischen Pasadena. Wie fühlt es sich aus der Ferne an, dass die Regisseurin Katharina Stoll Ihr Buch "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" nun auf die Bühne des Münchner Volkstheaters bringt?
Ottessa Moshfegh: Das Buch wurde 2020 schon mal in Zürich aufgeführt, aber ich habe bis heute nicht einmal ein Szenenbild aus dieser Produktion gesehen. Natürlich hängt man als Autorin an seinem Werk. Man nennt es "mein Baby", und das stimmt auch ein Stück weit. Aber als Theaterstück wird es immer eine Interpretation meines Romans bleiben. Wenn es außerdem in einer anderen Sprache aufgeführt wird, fühlt es sich gleich noch weiter weg an. Das gefällt mir, weil ich mich dadurch von Erwartungen lösen kann, die ich damit verknüpfe.

In Ihrem Roman beschließt eine junge Frau, deren Namen man nicht erfährt, mit Hilfe von Beruhigungsmitteln, Antidepressiva und Schlaftabletten ein Jahr lang durchzuschlafen, als eine Art Grundreinigung gegen ihre Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber. Wie sind Sie auf die Idee für dieses Buch gekommen?
Bei vielen Büchern kommt die Idee aus dem Nirgendwo, das lässt sich gar nicht zurückverfolgen. Aber bei diesem Roman war es anders.

Das Regieteam von "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" (c) Weronika Demuschewski

Und zwar wie?
Ich habe lange in New York City gewohnt und kehrte viele Jahre nicht dorthin zurück. Als ich doch mal einen Freund besuchte, sah ich, wie sehr sich die Stadt seit meinem Umzug nach Kalifornien verändert hatte, vor allem nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Warum auch immer, tauchte dann genau der Charakter dieser Frau in meinem Kopf auf. Mit einem Mal wusste ich sehr genau, wer sie war, wo, wann, wie sie lebte und dass sie ein Jahr lang nichts anderes tun wollen würde – außer zu schlafen.

Als Leser tut man sich zunächst schwer zu verstehen, warum sie das so unbedingt will: Da ist eine junge Frau, gut aussehend, mit einem tollen Job in einer Kunstgalerie, die viel Geld geerbt hat. Es scheint, als gäbe es keine Probleme.
Sie ist jemand, die von außen beneidet wird, die unerreichbar wirkt, weil sie auf so vielen Ebenen perfekt ist. Gleichzeitig hat diese Frau aber eine unglaubliche Angst vor sich und ihren Gefühlen. Sie fühlt sich allein und alleingelassen und kann all dem nicht entkommen. Ich konnte ihr Vorhaben gut verstehen.

Bei den Proben am Münchner Volkstheater (c) Weronika Demuschewski

Weil Sie selbst gerne ein Jahr lang durchschlafen würden?
Als ich das Buch schrieb, hatte ich mit dem Gegenteil davon zu kämpfen, nämlich mit enormer Schlaflosigkeit. Da habe ich enorm viel übers Schlafen nachgedacht. Abgesehen davon kennen bestimmt viele Menschen das Gefühl, nur ins Bett gehen zu wollen, und nach dem Aufwachen haben sich alle Probleme in Luft aufgelöst. Dieser Sehnsucht wollte ich nachgehen.

Ich muss Mitgefühl haben.

Wie fühlt man sich in einen Menschen ein, der – wenn auch nur auf Zeit – vom Erdboden verschwinden will?
Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich hatte nie das Gefühl, Tagebuch schreiben zu können. Schon als Kind befürchtete ich, dass jemand meine Einträge lesen könnte. Denn unser eigenes Melodrama, gepaart mit der Art und Weise, wie wichtig wir uns nehmen, kann extrem lächerlich wirken. Wenn ich doch mal über meine Gefühle schreibe und das später lese, kann ich nicht fassen, wie absurd alles klingt. Als Schriftstellerin gefällt mir aber, mich genau davon inspirieren zu lassen. Also dahin zu gucken, wo vieles in uns so hässlich ist.

Haben Sie je Mitleid mit Ihrer Romanfigur?
Nein, niemals. Aber ich muss Mitgefühl haben.

Am Ende des Romans kommt die Protagonistin zu dem Schluss: „Schmerz ist nicht das Einzige, an dem man wachsen kann.“ Ist das Ihre Botschaft an all diejenigen, die davon überzeugt sind, dass man aus jeder noch so miesen Erfahrung gestärkt hervorgeht?
No pain, no gain: Das gilt für mein gesamtes Leben, für meine Arbeit, die Beziehung zu meinem Körper und zu anderen, selbst für meine Hobbys. Aber ich möchte nicht, dass dies die einzige Ausgangslage für inneres Wachstum ist. Vielleicht ist Liebe oder Glaube ja viel besser! Deswegen finde ich diesen Satz ehrlicher und menschlicher als alles, was man sonst aus der so populären Selbsthilfekultur hört, die gerade hier in Kalifornien so unerschütterlich wirkt.

Cover des Romans "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung"
Wenn ich schreibe, fühle ich mich am lebendigsten.

Der Erfolg Ihres Buchs kam in zwei Wellen: zur Erstveröffentlichung im Jahr 2018 und dann zwei Jahre später, als es zu Beginn der Pandemie besonders von jungen Frauen gelesen wurde, die sich dann als "sad girls" in melancholischem Look mit verweinten Augen auf TikTok inszenierten und gegenseitig zelebrierten. Haben Sie sich Sorgen um Ihre Leserinnen gemacht?
Nein. Diese Frauen waren während der Lockdowns mit sich selbst konfrontiert. Vermutlich gab es nicht viele Geschichten, in denen sie sich zu diesem Zeitpunkt wiederfinden konnten. Manche von ihnen schrieben mir Mails, in denen sie davon erzählten, wie sie durch die Lektüre meines Buchs mit anderen Leserinnen in Kontakt kamen und zu Freundinnen wurden. Ich glaube, das ist das größte Kompliment, das man überhaupt bekommen kann als Schriftstellerin. Dass man etwas geschaffen hat, das andere miteinander verbindet.

Mit dem Schreiben haben Sie im Alter von 13 Jahren begonnen. Doch nicht nur in Ihren Romanen tauchen jede Menge Tragödien auf: Als Kind sollen Sie an paranoiden Wahnvorstellungen gelitten haben, Sie hatten Essstörungen und besuchten bereits als junge Frau Treffen der Anonymen Alkoholiker. Zudem starb Ihr Bruder früh an einer Überdosis. Wurde das Schreiben zu Ihrem Rückzugsort?
Einer der Gründe, warum ich überhaupt Romane schreibe, ist, dass ich dadurch das sagen kann, was ich denke, und gleichzeitig nichts über mich oder über die Beziehungen, die ich zu anderen Menschen führe, preisgeben muss. Wenn ich schreibe, fühle ich mich am lebendigsten. Ich halte mich nicht für eine besonders nachdenkliche, reflektierte Person, aber wenn ich an meinem Arbeitstisch sitze, werde ich mit einem Mal klüger. Und zwar nicht, weil ich etwas Unglaubliches mache, sondern weil es mir beim Schreiben gelingt, mich von meinen Ängsten zu lösen. Das gibt mir das Gefühl von Freiheit.

Wissen Sie noch, über was Sie mit 13 geschrieben haben?
Das klingt heute etwas albern, aber ich habe versucht, ein Stück weit meine permanente Traurigkeit zu überwinden, die mich schon als Kind erfasste. Sprache ist für mich ein Ventil, um ein Gefühl darzustellen. Damals ging es mir aber nicht so sehr um eine sinnvolle Erzählung, meine Geschichten waren ziemlich kurz, manchmal nur einen Satz lang. Stattdessen schrieb ich über die immergleichen Figuren, einer von ihnen hieß Joe. Er wurde zu jemandem, der mir sehr nahestand.

Ein unsichtbarer Freund?
Vielleicht. Er tauchte in unterschiedlichen Szenarios auf, mal war er jung, mal alt. Joe wurde zum Archetyp meiner Geschichten. Lesen durfte die aber niemand, ich behielt sie wie vieles andere für mich.

Bei den Proben am Münchner Volkstheater (c) Weronika Demuschewski

Sie gelten als sehr fleißig. Mit welchem Teil Ihrer Arbeit tun Sie sich besonders schwer?
Nicht zu arbeiten! Ich bin vom Leben tatsächlich enttäuscht, wenn ich nicht mitten in einem Schreibprojekt stecke und mit den Fragen zu kämpfen habe, die sich mir dabei stellen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, mag mir einfach nicht gelingen. Wenn mich eine Freundin anruft und sagt, oh, das Wetter ist so schön, lass uns treffen und irgendwo Kaffee trinken gehen, zögere ich sehr lange. Ich entkomme dem Schreiben nur schwer.

"Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" nach dem Roman von Ottessa Moshfegh in der Regie von Katharina Stoll ist ab dem 28. September im Münchner Volkstheater zu sehen.