Clean, sterilize, disinfect

Elias Adam und sein Ensemble haben mit dem Abend "We are in the Army Now" eine Arbeit vorgelegt der beleuchtet was das eigentlich heißen soll, dieses "queer sein"?

WORK BITCH

man hat mich beauftragt, einen text zu schreiben.

man hat mir gesagt, dieser text, den ich schreiben soll, soll eine art dramaturgische auseinandersetzung sein, und eine art diskursive einordnung.

ich habe dann gesagt: aber du weisst schon, dass ich das nicht kann, einen wissenschaftlichen text oder so schreiben, oder einen akademischen text schreiben, oder so, also, dass ich das nicht kann. oder: das ich das nicht will. aber klar, ich kann das gerne machen (auch wenn ich das eigentlich nicht kann), aber vielleicht anders, also, klar, ich hab da bock drauf, ich freu mich wahnsinnig, dass du da an mich gedacht hast, danke.

ja. bevor ich jetzt noch länger über mich und meinen einstieg in diesen, ja, vielleicht: arbeitsprozess schreibe, komme ich also zu der eigentlichen arbeit, um die dieser text kreist, und die dieser text als ausgangspunkt nimmt, nämlich: "We are in the Army Now" des regisseurs Elias Adam und seinem unfassbar tollen ensemble – auch und vielleicht, um darüber nachzudenken, was diese enorm kraftvolle und berührende inszenierung tatsächlich bearbeitet, oder: woran sie sich eigentlich abarbeitet, und: was das bedeutet, oder bedeuten muss, immer: "arbeit", in einem queeren kontext, in einem kontext also, in dem die produktion einer ästhetik selbst schon eine art politisches abarbeiten an etwas oder bewusste differenzierung von etwas bedeutet, oder: immer noch bedeuten muss.

Autor Marcus Peter Tesch
Was heißt das überhaupt, 'camp', und warum benutzen plötzlich alle schreckhaft dieses wort, camp

tatsächlich ist es ja so: worte oder konzepte wie "arbeit" fallen im grell fluoreszierenden, post-nuller-jahre bühnenuniversum, irgendwo zwischen digitaler 3D endloslandschaft und poppiger performanceästhetik in der grossartigen Ausstattung von Sita Messer nicht mehr … oder, müsste es, vielleicht, eigentlich heissen: "campy" bühnenuniversum? – aber was heisst das überhaupt, "camp", und warum benutzen plötzlich alle schreckhaft dieses wort, camp, sobald irgendwer den mut hat, sich ziemlich geschmackvoll und doch eklektisch eines popkulturellen vokabulars zu bedienen und in die bühne zu übersetzen, oder: wird dieses wort hier nur benutzt, weil im zentrum dieses abends unter anderem auch sowas wie schwule identität steht, der abend also camp sein muss, weil, wie wäre er sonst einzuordnen, so glitzernd hektisch und aggressiv melodramatisch wie es hier zugeht. obwohl: die virtuosität und stilsicherheit, in der sich auf verschiedenen ebenen um, über, vor und hinter den körpern der performenden digitale und höchst reale oberflächen (oder immerhin, die behauptung von oberflächen) aufbauen und projizieren, diese körper stetig neu kontextualisieren, spricht eigentlich gegen diesen begriff, "camp".

We are in the Army Now (c) Future Now

jedenfalls: worte wie "Arbeit". die gibt es nicht mehr im bühnenuniversum des Elias Adam, vielleicht auch, weil keine der protagonist*innen auf der bühne das hat, eine arbeit, aber dennoch beschäftigt ist, beschäftigt sein muss, ständig, mit: "projekten", wie der selbstdarstellung auf  grindr oder insta, der anfertigung von zig listen, der aufbereitung der eigenen biografie, der traumabewältigung wegen der homophoben oder ständig scheisse labernden vätern, etc., etc., etc. projekte also, die eigentlich vor allem "ongoing projects" sind, und deshalb vor allem prozesse, die sich dadurch auszeichnen, im ewig projekthaften verortet zu sein und deshalb nie zu ende zu gehen, nie zu einem ergebnis kommen also: die protagonist*innen befinden sich, wie wir – die aus der zeit gefallenen langzeitstudent*innen, die prekär-unstetig beschäftigten kunstfabrikant*innen, die zwanghaft lebensfrohen, toxisch glücklichen überlebenskünstler*innen – in einer recht neoliberal abgefuckten und doch auch irgendwie privilegierten lebensrealität. die halt einfach wahnsinnig ermüdend ist … und vielleicht geht es genau darum, in diesem stück: keine arbeit zu haben, aber doch dauernd müde zu sein ob all dieser prozesse, all dieser projekte. oder, wie es im text heisst, um es jetzt einfach mal beim namen zu nennen, vielleicht geht es um die erzählung eines ganz alltäglichen DEADLANDs. oder, vielleicht noch einfacher und weit komplexer:

late stage capitalism
late stage patriarchy
late stage depression

NO GODS, NO MONSTERS
vielleicht aber nochmal ganz zurück an den anfang.

"We are in the Army Now" beginnt mit einem song (hi hats, bluesig-lässige keyboardsounds) von Gary Salomon, zu dem Jeo Pakitsas sich ziemlich lasziv in high heels auf der bühne räkelt – und mit den worten: "clean, sterilize, disinfect. nobody is gonna leave this house straight. (…) no gods, no monsters, let`s show them how it`s fucking done." dann knutschen Gary und Jeo ein bisschen rum, während sie provokant in die kamera (ich habe nur ein video des stücks gesehen) kucken. dann gibt es einen von vielen ziemlich heftigen brüchen, und Styliana Ioannaou rappt "whores in this house, theres some whores in this house", ein song von Cardi B.

über diese ersten minuten des abends könnte man jetzt schon ziemlich viel schreiben, und mir ist klar, dass ich diesem abend nicht wirklich gerecht werden kann, wenn ich mich jetzt nur auf die ersten worte fokussiere und den rest weglasse. ich mach das aber jetzt trotzdem, please forgive me, Styliana Ioannaou, Jeo Pakitsas, Sofia Priovolou, Gary Salomon, Elias Adam.

und vielleicht ist es ja auch manchmal so, dass in den ersten worten, die auf einer bühne gesprochen werden, auch schon immer alles das, was man über einen abend wissen muss, verborgen liegt? und, obwohl ich nicht glaube, dass man kunst zwingend entschlüsseln muss oder zwingend entschlüsseln sollte, erscheinen mir diese ersten worte wie ein werkzeug, um diesen abend für mich auf einer ebene zu begreifen, die sich mir vielleicht anders nicht direkt erschliessen würde.

"clean, sterilize, disinfect" also.

putzen, sterilisieren, desinfizieren. mir ist schon klar: gemeint ist hier, dass das theater von heteros "gereinigt" werden soll, dass hier vielleicht eine art "saver space" etabliert werden soll für queers, für homos, für sexpositive frauen. for fags und sluts like us. aber ich glaube, in diesen worten liegt noch etwas anderes.

Elias Adam (c) Paris Tativian

ich google ein bisschen rum. ich lese die biografie von Elias Adam. er ist 1991 in einem griechischen dorf geboren, heute lebt er in athen. ich bin 1989 in einem dorf in süddeutschland geboren und lebe in berlin. und irgendwie: ich fühl mich ihm verwandt, auch wenn unsere biografien natürlich völlig andere sind …

ich hätte mich gerne mit Elias über sein stück unterhalten. darüber, wie es ist in griechenland ein theater zu machen, das schwulsein, sexpositivity, queerness offen und direkt verhandelt. das inhaltlich und ästhetisch einen raum zu etablieren sucht ausserhalb eines heteronormativen mainstreams. das sich gleichzeitig nicht damit zufriedengeben will, nur auf off-bühnen gespielt zu werden. das eine sichtbarkeit innerhalb der grossen institutionen einfordert – und auch erhält.

es gibt diese section im stück, da geht es um das thema "outing". der performer Jeo Pakitsas spricht über sexdates, dickpics, die überdominante präsenz nackter, maskuliner körper auf allen seinen social media kanälen. er spricht offen über seinen sex, direkt, er spricht darüber, wie es ist, jung und schwul und in einer beziehung zu sein in der grossstadt. und gleichzeitig weiss der eigene vater nichts von all dem.

wenn ich mein eigenes schwulsein in texten thematisiere, fühl ich mich immer ein bisschen aus der zeit gefallen. wie ein überbleibsel aus einer anderen epoche, aus den achtzigern oder so.

ich hör das häufig: schwul sein ist doch ganz normal, heute. schwul sein ist doch kein thema mehr, heute. wenn ich mein eigenes schwulsein in texten thematisiere, fühl ich mich immer ein bisschen aus der zeit gefallen. wie ein überbleibsel aus einer anderen epoche, aus den achtzigern oder so. irgendwie anachronistisch. ist ja kein problem mehr, heute. und trotzdem haben lesbische und schwule jugendliche eine vier- bis siebenmal höhere suizidrate – bis heute … ist doch kein problem mehr?

clean, sterilize, disinfect …  

ich glaube, die performerkörper, die sich in Elias Adams inszenierung als schwul outen, die ihre sexualität offen zur schau stellen und thematisieren, können nur deshalb auf dieser bühne, und also auch auf der bühne der institution volkstheater, als "schwul" sichtbar werden, weil sie genau das sind, sein müssen: cleaned, sterilized, disinfected. sie sind saubere oberflächen. sie sind nicht ansteckend oder gefährlich. sie sind maskiert. sie tragen popkulturelle uniformen, die sie sich angeeignet haben – zu ihrem eigenen schutz. denn sie müssen sich schützen, noch immer – gerade, weil sie ihre sexualität, ihre intimität, ihren schmerz offen thematisieren. und doch, trotz aller ziemlich amüsanten obszönität, die ein gewichtiger teil des abends ist, das wirklich intime ihrer körper verbergen: clean, sterilize, disinfect. und das ist die tragik in Elias Adams "We are in the Army Now". oder: eine tragik in diesem abend. die tragik des schwulen körpers, der versucht beides zu sein: normativ und queer. eine tragik, die sich eben nicht unter irgendeiner oberfläche versteckt, sondern genau aus dieser oberfläche besteht, sich darauf abspielt. eine oberfläche, die fast pornografisch und lustvoll eine identität ausstellt und damit bis an ihr äusserstes geht (eine oberfläche ist, vielleicht, ja immer auch das: das äussere, das äusserste, das sich äussernde. eine umkämpfte grenze, also). eine projektionsfläche oder eine projizierte fläche: sexy, offensiv, schrill. viril. powerfull, empowert. subversiv und: normativ – in einem einfach nur erweiterten spektrum von normativ? clean, sterilize, disinfect.

 

We are in the Army Now (c) Future Now

ich sehe auf dieser bühne marschierende körper (obwohl keiner dieser körper irgendwann marschiert, sehe ich sie marschieren, sehe ich sie in die, durch die insitutionen marschieren, sehe ich sie durch das theater marschieren, mit ihren identitäten als waffen, mit ihrem sex als kapital). disziplinierte körper. saubere, gesunde, glänzende körper. körper die schwul sind, und körper, die queer sind (und noch vieles mehr). ich sehe sie, weil sie sich so zeigen, weil sie gesehen werden wollen. körper, die vielleicht nur deshalb sichtbar sein dürfen, weil sie alles das sind. und vieles andere nicht (oder vieles andere nicht zeigen dürfen, wollen sie sichtbar sein): krank zum beispiel, oder versehrt. disfunktional, abgefuckt. und ich glaube, das ist das geniale an diesem abend, der ganz vieles erzählt, der ganz vieles bespricht und auflistet und verhandelt, der auch ein abend ist auf einer fast verzweifelten mission: dass er vieles verbirgt, während er alles zeigt. dass er über vieles schweigt, während er alles ausspricht.

ich habe gehört, dass Elias auf dem weg zu einer probe in Athen verprügelt wurde.

in berlin gab es 2021 über fünfhundert beleidigungen, bedrohungen und körperverletzungen gegen schwule, lesben, bisexuelle und transpersonen. ein grossteil davon in schöneberg, dem schwulen kiez der stadt.

es war weihnachten. ich erinnere mich, wie ich auf der couch lag, im wohnzimmer, bei meiner schwester zuhause. sie wohnt ein paar häuser weiter, im gleichen dorf wie meine eltern, in niederbayern. ich lag mit meinem freund auf der couch, wir hatten beide so synthetische weihnachtspullis von aldi an (ein geschenk von meiner schwester) mit so rentieren draufgestickt, deren nasen blinken, wenn man draufdrückt. ich hab davon ein video auf insta gestellt. meine schwester, solariumbraun, gelfingernägel, mein freund und ich mit glänzenden gesichtern, weil die heizung auf fünf, alle drei mit diesen billigen aldipullis, alle drei mit so einem blinkenden rudolph the rednosed reindeer. ich liebe meine schwester sehr. meine schwester war die erste in meiner familie, der ich gesagt hab, dass ich schwul bin, so mit fünfzehn vielleicht. vor meinem vater habe ich mich erst jahre später geoutet … weihnachten also. mein freund und ich lagen auf der couch, zusammen, aneinander. und plötzlich kommt meine schwester rein und rastet aus. dass wir da auf ihrer couch so liegen, das war ihr zu viel.

clean, sterilize, disinfect.

aber, wirklich, und ich meine das jetzt nicht ironisch: sie hat kein problem damit, dass ich schwul bin.

this is a stupid dialogue. a faggot dialogue. stupid faggot theatre. this is not what this play is meant to be about.
Gary in "We are in the Army Now"

es gibt diese szene in der inszenierung, oder dieses eine bild in einer szene in der inszenierung, relativ am anfang auch, das mich die ganze zeit beschäftigt. es ist fast ein bisschen albern, vielleicht profan. vielleicht camp, deswegen. und eigentlich gibt so vieles, was viel eindrücklicher wäre und bedeutender wäre in dieser inszenierung, dass es mir fast ein bisschen peinlich ist, jetzt mit diesem detail zu enden.

ok.

ich meine die unterhose mit dem schwanz drauf.  

Gary und Jeo, das schwule paar, haben einen dialog, während dem sie sich ausziehen. es geht darum, wie sie sich kennenlernten. der dialog geht so:

G
and then I asked you, if you were polyamorous.

J
and you said you were. you wanted to include me in the project. and screw around.

G
I just panicked, I got scared.

J
I told you, I was the same.

G
you just said so.

J
yes.

G
you lied.

J
then you sent me a dick pic.

G
you asked for it.

J
I don’t think so.

G
would I send it to someone, who didn’t ask for it?

(Gary zieht seine hose aus, dreht sich zum publikum oder zur kamera und steht in einer unterhose mit einem realistischen schwanz-print drauf da. die kamera zoomt auf das schwanzprint auf der unterhose.)

J
Gary!

G
and then i went away, to work on my thesis.

J
yes, you went away.

G
to work on my project title.

J
for a residency.

G
for a residency.

J
to work on your project title. for your phd. (Pause) have you found someone else?

G
this is a stupid dialogue. a faggot dialogue. stupid faggot theatre. this is not what this play is meant to be about.

genau. es ist ein stupid dialog. ein stupid faggot dialogue. und ja: das ist es nicht, nicht im geringsten, worum es in diesem stück, in dieser inszenierung geht.

naja. oder eben doch. weil es eben kein stupid dialogue ist. oder: weil dieser dialog genau so albern ist, wie die unterhose mit dem schwanzprint drauf. nämlich gar nicht albern. jedes ausstattungsdetail, jeder effekt, jede szenischen setzung, jeder mono- oder dialog schaffen es, ebenso albern zu sein wie tragisch. das ist camp. das ist ziemlich genial. weil wir uns nicht mehr nackt machen müssen, um sichtbar zu sein.

dann tritt, wieder, Styliana Ioannaou auf. plateuschuhe, platinblonde perücke. eine mundsperre mit riesigen pinken lippen im gesicht.

sie nimmt sich das mikro, nimmt die mundsperre raus und beginnt einen monolog über ihr "everyday life".

"We are in the Army Now" ist nämlich vor allem auch das: ein abend, gewidmet den allianzen, ein abend für unsere und von unseren straight allies, in dem wir alle platz haben. ein abend, in dem es auch um verbrüderung geht – vor allem aber: um schwesternschaft. um solidarität. darum, dass wir nicht alleine kämpfen.

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Marcus Peter Tesch

 

Marcus Peter Tesch ist Autor und Dramaturg. Seine Arbeiten beschäftigen sich häufig mit der Sichtbarmachung queerer Geschichte(n) und der Erzählbarkeit von Klassismus auf der Bühne. Er studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Giessen und war als Dramaturgieassistent und freier Dramaturg an der Schaubühne in Berlin tätig. Seit 2020 ist er Stipendiat des Lehrgangs FORUM Text in Graz.