"Das alles bin ich"
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Autorin: Elisabeth Luft
Aufgewachsen in den australischen Outbacks, lernte Dan Daw eine Welt kennen, in der er als Mensch mit Behinderung eine Inspiration für andere war. 2015 gründete er Dan Daw Creative Projects, eine professionelle Kompanie von Künstler:innen mit Behinderung. Und begann, den Fokus zu verschieben: Von nun an inspirierte er sich selbst, nicht mehr nur die anderen. Er arbeitete mit immer anderen Künstler:innen zusammen, trat in Großbritannien, Schweden oder den USA auf.
Heute versammelt die Kompanie neben festen Mitarbeiter:innen für Produktion und Lichtdesign auch Daws Performer-Kollegen Christopher Owen, die Choreografin Sarah Blanc und den Zugangs-Koordinator ("Access Support") Zed Lightheart. Gemeinsam richten sie sich in ihrer Arbeit nach vier Grundprinzipien: Zugang, Fürsorge, Einverständnis und Freude. Was für manche selbstverständlich klingt, ist für Menschen mit Behinderung oft alles andere als das. Immer wieder werden Grenzen übergangen und Vorurteile bedenkenlos übernommen. Diesen Erfahrungen will der Performer etwas entgegensetzen: "Jede:r soll sich wohlfühlen, wenn wir zusammenarbeiten. Nicht nur, weil ich mir das persönlich für uns alle wünsche, sondern auch, weil wir uns nur dann auf uns und die künstlerische Arbeit konzentrieren können."
"The Dan Daw Show" ist die erste Arbeit der Kompanie in dieser Konstellation und stark autobiografisch geprägt. "Ich untersuche, wie ich frei leben und Freude erfahren kann in dieser Welt, in der es Menschen gibt, die das nicht für mich wollen, weil ich zur Arbeiterklasse gehöre, queer und behindert bin", sagt Dan Daw. Als er 2017 mit den Recherchen für die Show begann, wurde schnell klar, dass er sich selbst endlich in den Mittelpunkt stellen müsse. "Was brauche ich von der Welt, um mich so frei wie möglich zu fühlen? Was gibt mir Freiheit, Freude und Vergnügen?"
So bekam auch Sexualität einen großen Stellenwert in seinem künstlerischen Schaffen. "Sex ist ein zentraler Bestandteil meines Lebens, und ich genieße meinen Körper dabei so wie er ist. Oft aber werde ich aufgrund der Behinderung entsexualisiert und entmenschlicht – dem will ich ein Ende setzen." Er nutze seine sexuellen Vorlieben, um zu zeigen, wie er wahrgenommen und von anderen behandelt werden möchte. Während der Show wird der Performer deshalb 75 Minuten lang von seinem Kollegen Christopher Owen gelenkt, dominiert, beherrscht. "Ich will zeigen, wie es ist, wenn behinderte Menschen an der Macht sind, nicht nur sexuell. Und wie es aussieht, wenn ein Mann mit einem anderen Mann intim ist." Die Bedingungen dafür hätten sie zuvor in enger Abstimmung miteinander entwickelt, berichtet er.
Ich will zeigen, wie es ist, wenn behinderte Menschen an der Macht sind, nicht nur sexuell.
Den Weg dafür ebnete schon eine Arbeit im Jahr 2015. "On One Condition" nahm Schlüsselmomente seiner Kindheit in Australien in den Blick und untersuchte die Folgen, die das Leben in einem behinderten Körper damals mit sich brachte. Mit seiner Performance "Beast" fokussierte er sich anschließend weiter auf seinen Körper: "Ich war nackt und weiß angemalt, es war, als würde ich mich selbst wie ein Tier betrachten." Auf dem Prüfstand steht dabei immer die eigene Beziehung zu diesem Körper, aber auch der Blick von außen. Mit der "Dan Daw Show" habe er von Anfang an eine stärkere Verbindung zwischen der Innensicht und der Außenperspektive herstellen, persönliche Besonderheiten und Leidenschaften sichtbar machen wollen.
"Ich glaube, wir erreichen Menschen emotional, indem wir uns erlauben, auf der Bühne verletzlich zu sein und uns trauen, uns selbst zu hinterfragen", so Dan Daw. Die Reaktionen von Frauen, Queers und Menschen mit Behinderung seien besonders verblüffend: "Sie kommen auf uns zu und sagen: ‚Ihr habt mich daran erinnert, dass ich mehr Platz in der Welt einnehmen darf und aufhören muss, mich für mich und meinen Körper zu entschuldigen.‘" Immer wieder erschrecke er sich über Sätze wie diese, so Daw, aber er sei glücklich darüber, dass seine Arbeit solche Wellen schlage.
So auf der Bühne zu sein, bedeutet für mich einen Akt der Freiheit.
Früher habe er gedacht, er habe ein professionelles und ein privates Ich, und beide brächten ihre Einschränkungen mit sich. Erst durch die künstlerische Arbeit habe er gemerkt, dass all das in ihm zusammen gehöre, dass er Sexualität und Kunst, Verlangen und Verantwortung nicht voneinander trennen könne. "Mit meiner Arbeit möchte ich zeigen: 'Das wird meinem Körper angetan, das gehört zu mir, das tut mir gut – wir brauchen nicht zehn Versionen von uns selbst, sondern können all das in uns vereinen.' So auf der Bühne zu sein, bedeutet für mich einen Akt der Freiheit."
Mehr zur Autorin
Elisabeth Luft lebt und arbeitet in Köln als freie Autorin, Kultur- und Theaterjournalistin (u.a. WDR, DLF, Theater der Zeit). Sie studierte Germanistik, Medienkulturwissenschaften und Theaterwissenschaft in Köln, Rom und München. 2021-2022 war sie Chefredakteurin bei kritik-gestalten. Sie hostet den Podcast "Wozu das Theater?", ist in unterschiedlichen Jurys tätig und leitet Blogredaktionen bei Theaterfestivals.
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