"Dem Techniker glauben wir ohne Weiteres. Dem Gestalter nicht."
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Herr Professor Lederer, Sie hatten lange in Stuttgart den Lehrstuhl für öffentliches Bauen inne. Worin unterscheidet sich das öffentliche Bauen vom privaten?
ARNO LEDERER: Beides sind überkommene Begriffe, weil alles Bauen öffentlich ist. Auch ein privates Haus ist es, denn ein privater Bauherr baut nur einen Teil des Hauses für sich selbst. Den anderen baut er für die Stadt und für den öffentlichen Raum.
Das werden vermutlich nicht alle so sehen, oder?
Merkwürdigerweise haben wir diesen Gedanken im Zuge der Moderne verloren. Ein Bauherr denkt heute, er investiert und kann deshalb bestimmen, wie das Haus auszusehen hat. Aber der öffentliche Raum, die Straßen und die Plätze, die gehören uns allen. Und wie die Wände dort beschaffen sind, das geht uns alle an und nicht nur den Einzelnen.
Es gibt ein schönes Zitat von Ihnen: „Das Haus hat sich zu benehmen.“
„Benehmen“ finde ich ein unglaublich schönes Wort, es ist leider durch die Achtundsechziger in Vergessenheit geraten. In der Architektur gab es eine Verwechslung zwischen den Wörtern Anpassung und Benehmen. Ein Haus muss sich nicht grundsätzlich anpassen, das ist Unsinn. Wenn Sie sich in einer miserablen Gesellschaft befinden, passen Sie sich ja auch nicht an. Benehmen heißt, ich benehme mich auch dann gut, wenn andere sich schlecht benehmen.
Das neue Volkstheater ist natürlich eine Uraufführung. Und der Neubau eines Theaters für mich eine Premiere.
Gilt das auch für die Innenräume? Sollten die sich auch benehmen?
Innen ist anders. Wenn Sie nach Hause kommen, werfen Sie manchmal die Klamotten von sich und wenn Besuch kommt, stopfen Sie schnell die Schuhe unters Sofa. Daran merkt man, dass der Mensch Privates und Öffentliches strikt getrennt sehen will. Im Moment begleitet uns alle der Terror des Öffentlichen. Blickt man ins Internet, weiß man nicht mehr genau, wo die Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen verläuft.
Bei Privathäusern markiert diese Grenze die Tür.
Ein öffentliches Gebäude unterscheidet sich natürlich vom privaten Gebäude – es ist ja auch innen öffentlich. Das Idealbild ist hier, dass sich der öffentliche Raum in das Gebäude hineinzieht.
Beim Volkstheater wird ein großer Bogen die Menschen hineinziehen, ein richtiges Portal.
Ja, aber das könnte auch ein Tunnelmund sein. Haha, jetzt lästere ich einfach mal über die eigene Arbeit. Aber im Ernst: Die Tumblinger Straße ist ja dicht und eng und auch nicht nur von Schönheiten geprägt. Dann steht da so eine Stele, das ist doch ganz schön. Im alten Rom hat man Torbögen gemacht, ohne dass ein Haus dahinter war.
Denken Sie an die Ewigkeit, wenn Sie bauen?
Nein. An die Ewigkeit nicht, nichts ist ewig, aber wir denken an die Dauerhaftigkeit.
Wie lange wird das Volkstheater stehen bleiben?
Das weiß ich nicht. Aber wir müssen als Gesellschaft wieder dahin kommen, dass unsere Häuser mehr als hundert Jahre bestehen. Ob da später noch ein Theater drin sein wird oder ob Boxkämpfe aufgeführt werden, ist nicht wesentlich. Wichtig ist, dass wir unsere Häuser nicht nach 20, 30 oder 50 Jahren wegwerfen. Das kann sich unsere Gesellschaft nicht mehr leisten. Es dient auch nicht der kulturellen Entwicklung. Die braucht Konstanz.
Fühlt sich das neue Volkstheater für Sie als Architekt wie eine Premiere an oder wie eine Uraufführung?
Oh, schwierige Frage. Das Volkstheater selbst ist natürlich eine Uraufführung. Und der Neubau eines Theaters ist für mich eine Premiere. Unser Büro hat ja das Staatstheater Darmstadt saniert und wir haben dabei viel gelernt, weil es lange gedauert hat und eigentlich immer noch andauert. Den Neubau des Volkstheaters empfinde ich als wunderbare Aufgabe. Nachdem die Religion nicht mehr in der Lage ist, Kirchen zu bauen, gibt es nur noch zwei schöne Bauaufgaben: die Theater und die Museen.
Sind nicht die Hochhäuser der Banken die Kirchen von heute?
Das sagen viele. Es stimmt aber nicht. Es sind die Stadtzerstörer von heute.
Bei der Präsentation des Architekturwettbewerbs für das neue Volkstheater – haben Sie da ein Auge auf die Arbeiten der anderen Finalisten geworfen?
Ja.
Was haben die anderen besser gelöst als Ihr Entwurf?
Das weiß ich nicht.
Sie haben nicht so genau hingeguckt?
Doch, aber ich sage Ihnen nicht, was ich gesehen habe (lacht).
Welches architektonische Problem konnten Sie mit Ihrem Entwurf nicht lösen?
Wir hätten gern ein Foyer gehabt, das mehr in die Tiefe geht, das einen größeren Raum öffnen kann. Es ist ein schmales Foyer geworden, bedingt durch die vorgegebenen Quadratmeter. Ich will es nicht kritisieren, aber es ist schwierig, wenn es Leitz-Ordner gibt, wo alles präzise vorgegeben wird. Da müssen Sie noch mehr Phantasie aufwenden, um das Ganze in eine schöne Ordnung zu bringen. Da wünscht man sich natürlich mehr Freiheit.
Wie sieht es mit der Ästhetik aus? Wird das neue Volkstheater schön?
Unsere ästhetischen Wünsche würde ich am liebsten nicht verraten. Auch nicht gern besprechen. Wenn der Bauherr kommt und fragt, ob man etwas anders machen kann, mache ich es nicht so, wie der Bauherr es will und auch nicht, wie ich es will, sondern lasse daraus eine Frage entstehen: Könnte es nicht auch anders sein? Das ist ein dritter Weg, den ich sehr spannend finde. Und über Farben möchte ich eigentlich nicht diskutieren, weil ich treffen muss, was das Haus will und was die Besucher wollen, und nicht nur jetzt, sondern auch in 20 Jahren oder in 50 Jahren, wenn ganz andere Menschen das Haus bespielen.
Beim Volkstheater haben Sie es mit Künstlern zu tun, die das Haus beleben werden. Macht es das leichter oder schwerer?
Es gibt auch Juristen, die konkrete Vorstellungen haben. Das Merkwürdige ist, dass über Zahlen nie diskutiert wird. Wenn der Fachingenieur sagt, dass er für die Lüftung dieses und jenes Gerät braucht, wird das akzeptiert. Wenn wir aber über die Gestaltung reden, fühlt sich jeder berufen, mitzureden. Jeder behauptet, er habe Geschmack und könne urteilen. Dabei ist es genau umgekehrt: Ich kann mir nämlich schon überlegen, ob ich so viel Luft benötige oder nicht. Ob es mir genügt, die Fenster zu öffnen, so wie ich das seit 40 Jahren mache. Dem Techniker glauben wir ohne Weiteres. Dem Gestalter nicht. Wenn ich die Decke eines Büros glänzend schwarz streichen möchte, damit sie wie ein Spiegel die Raumhöhe verdoppelt, habe ich eine Diskussion über Monate hinweg. Manchmal ist es besser, es einfach zu machen.
Die Theaterleute diskutieren gerade über die Stele neben dem Torbogen. Ist die für Sie unverzichtbar?
Na ja, da würden wir schon mit uns reden lassen.
Die Stele ist schon ein ungewöhnlich markantes Element.
Das ich finde auch, aber das Volkstheater ist auch ein tolles Theater. So eine wichtige Einrichtung kann ruhig einen Zeiger haben. Ich habe mal am Computer aus Jux vorne ein goldenes, gelbes M darauf gemacht. Plötzlich wird einem klar, dass wir uns im kulturellen Bereich sehr zurückhalten, während die anderen im öffentlichen Raum herumtoben. Eigentlich müsste es genau umgekehrt doch sein, oder?
Sie meinen: die Kulturbauten dürften blinken und die Wirtschaftsbauten könnten ruhig ein bisschen leiser sein?
McDonald’s riecht man ja schon von Weitem, die brauchen keine Werbesäule.
Thema Wirtschaftlichkeit: Es gibt beim neuen Volkstheater einen festen Baupreis und einen festen Termin für die Schlüsselübergabe. Macht Sie das nervös?
Nein.
Sie vertrauen da dem Generalübernehmer?
Da vertraue ich uns allen.
Welchen Anteil haben Sie als Architekt jetzt noch, dass alles pünktlich fertig wird?
Wir müssen die Pläne pünktlich liefern, wir dürfen nicht viele Umwege machen, das Zeug muss einfach stimmen. Je ungestörter man arbeiten kann, desto schneller kommt man vorwärts.
Sie arbeiten am liebsten mit einem klassischen Material, dem Ziegel.
Ziegel ist ein zeitloses Material, ein Baustoff wie ein Stuhl. Seit Jahrtausenden sitzen die Menschen auf 45 Zentimetern Sitzhöhe, das muss ich nicht hinterfragen. Genauso steht Ziegel außerhalb jeder Mode. Zudem befördert er die Trägheit eines Gebäudes. Im Sommer bleibt es kühl, im Winter, einmal angeheizt, hält es die Wärme. Ziegel kann ich reparieren und ausbessern. Anders als eine Metallfassade, wo ich das Material oft 20 Jahre später nicht mehr bekomme.
Beton an sich ist ja nicht böse, nur vieles, was der Mensch daraus gemacht hat.
Werden Sie am neuen Volkstheater auch Backstein-Recycling betreiben wie bei ihrem preisgekrönten Museum in Ravensburg?
Das war kein Recycling, sondern ein Reuse, also eine Wiederverwendung von alten Steinen. Aber in München werden wir neue Ziegel verwenden. Welche genau, werden wir aber erst nach der Bemusterung wissen.
Gibt es bei Ziegelsteinen so große Unterschiede?
Es gibt tausende Lieferanten und Steine. Hier im Büro liegen überall Ziegelsteine. Machmal sage ich Bauherren, die wenig Geld haben: bringt mir den billigsten Ziegelstein, den ihr bekommen könnt, dann sehen wir, was wir daraus machen können.
Welche Farbe bekommt das neue Volkstheater? Versuchen Sie, die Fassadenfarbe der denkmalgeschützten Bestandsbauten genau zu treffen?
Die Farbe hängt ebenfalls von der Bemusterung ab. Komplementär oder Farbkreis benachbart - beides ist möglich. Die Farbtöne müssen nur miteinander im Einklang sein.
Was ist besser: rauer Backstein oder glatter Klinker?
Der Ziegel muss frostsicher sein, das ist die technische Bedingung. Je höher die Temperatur beim Brennen ist, desto glatter wird die Oberfläche und desto weniger Wasser kann eindringen. Bei hohen Temperaturen wird der Ziegel zu Klinker und bekommt eine fast keramische, glänzende Oberfläche und auch seine individuelle Farbe.
Für Ravensburg waren Sie für den Mies van der Rohe Award der Europäischen Union nominiert. Mies sagte mal: "Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden."
Ich glaube, Bernstein hat das gesagt: Das Wichtigste an der Musik sind die Pausen. Beim Ziegelmauerwerk ist das ähnlich. Man kann zum Beispiel nur horizontale Fugen machen, also die senkrechten weglassen, und dafür ein ganz schmales Format verwenden.
Welches Mengenverhältnis besteht zwischen Ziegel und Beton im neuen Volkstheater?
Wenn man die gesamte Baumasse betrachtet, besteht der Rohbau aus deutlich mehr Beton. Würden wir ausschließlich Ziegel verbauen, wären die Wände meterdick. Dann hätte der Christian Stückl weniger Platz zum Spielen.
Beton wird also fürs filigrane Bauen unverzichtbar bleiben.
Beton an sich ist ja nicht böse, nur vieles, was der Mensch daraus gemacht hat. Schon die alten Römer kannten das Material. Das Pantheon etwa besteht aus Stampfbeton. Den Stahlbeton hat übrigens ein Gärtner erfunden, kein Architekt.
Welche Gedanken haben Sie sich zum Zuschauerraum und zur Bühne gemacht?
Das Volkstheater bekommt eine klassische Kreuztheater Bühne. Es gab Experimente, die Zuschauer um die Bühne zu führen. Man ist aber immer wieder zur klassischen Form mit Nebenbühnen und Hinterbühne zurückgekommen. Für Experimente wird es auch im Volkstheater eine Black Box geben.
Christian Stückl mag es schmucklos, er möchte einen dunklen Zuschauerraum, damit der Fokus auf dem Geschehen auf der Bühne liegt.
Er gehört zu den Besten: ein sehr moderner Theatermacher. Das Theaterstück ist ihm wichtig. Das Sehen und Gesehenwerden nicht so. Aber wir müssen auch daran denken, was 2050 sein wird. Es werden vielleicht Intendanten kommen, die es anders haben wollen. Theater sind öffentliche Räume.
Er mag übrigens auch nicht, dass man sich abends herausputzt für den Theaterbesuch. Tatsächlich? Das ist interessant.
Waren Sie mal im alten Volkstheater?
Natürlich. Ich hab mir ein Stück angeschaut.
Können Sie verstehen, dass das ganze Theater dem Umzug entgegenfiebert?
Eigentlich mag kein Mensch Veränderungen. Wenn etwas zur Heimat geworden ist, fällt das schwer. Aber das ist normal. Es gibt das Gedicht von Hesse, "Stufen des Lebens", aus dem das berühmte Zitat stammt: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." Darin spricht Hesse auch vom Weltgeist, der uns Stufe um Stufe heben will. Genau so soll der Umzug werden.