Die Schatten der Vergangenheit

Friederike Drews inszeniert am Deutschen Theater Berlin den Roman "Mein Leben in Aspik" von Steven Uhly. Ein Gespräch über Männer, Frauen und die Aufarbeitung von familiären Traumata.

Interview: Leonore Henning

Wie sind Sie zur Regie gekommen? 

Ich habe als Schauspielerin angefangen und mich dann innerhalb des Berufs sozusagen auf die andere Seite geschlagen, zur Regie. Das ging aber nicht von heute auf morgen. Zuerst habe ich mich an Regie-Schulen beworben, das hat aber nicht geklappt. Dann habe ich gedacht, gut, der zweite Weg geht über eine Regieassistenz. Ich wollte auf jeden Fall an ein großes Haus mit guten Künstler*innen. So bin ich am Deutschen Theater gelandet. Im Nachhinein bin sehr froh, diesen Weg gegangen zu sein, weil ich dadurch von Anfang an viel näher an der Praxis war als an der Uni. Vor "Mein Leben in Aspik" habe ich hier am Deutschen Theater schon eine digitale Arbeit mit dem Titel "Bremsspuren" gemacht und am Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz "Der Kontrabass" von Patrick Süsskind inszeniert.

Regisseurin Friederike Drews © Inke Johannsen
Die Geschichte sollte im Spannungsfeld zweier Personen ausgehandelt werden.

Wann sind Sie zum ersten Mal mit dem Roman "Mein Leben in Aspik" in Berührung gekommen? Was hat Sie daran initial interessiert?
Ich habe den Roman vor fast zehn Jahren zum ersten Mal gelesen und war sofort begeistert von seinem Tempo und der Erzählung. Damals habe ich immer wieder Sachen gelesen und mich gefragt: Wie würde ich das inszenieren? Bei "Mein Leben in Aspik" wusste ich sofort, dass ich es gerne inszenieren würde, aber mit nur zwei Darsteller*innen. Mir war wichtig, dass nicht eine ganze Familie dargestellt wird, sondern ein Mann und eine Frau. Vielleicht Schwester und Bruder, vielleicht Liebende, vielleicht Oma und Enkel. Die Geschichte sollte im Spannungsfeld dieser zwei Personen ausgehandelt werden. Letztendlich ist es dann toll aufgegangen, dass zwei Personen eine komplette Familie darstellen und das Publikum noch mitkommt beziehungsweise an den richtigen Stellen rausfliegt.

Wie sind Sie bei der Adaption des Romans für die Bühne vorgegangen?
Ich habe den Roman erstmal systematisch durchgearbeitet und mir dabei alle Orte und Figuren notiert, um dann zu sagen: "Brauche ich nicht, brauche ich nicht, brauche ich nicht." Dadurch entstand relativ schnell eine Art Skelett. Letztendlich war es dann ein Streichen beziehungsweise ein Raffen von Themen. Ich wusste, dass ich die Traumata, die der Opa dem Enkel übergeben hat, und diese Oma-Enkel-Beziehung erzählen wollte. Das waren die großen Koordinaten. Dann habe ich versucht, eine dramaturgische Linie zu ziehen, und zwar die der sogenannten Heldenreise, mit drei Akten. Diese Stationen habe ich versucht, in meiner Fassung zu erfüllen.

Ihre Inszenierung hat einen sehr einschlägigen Soundtrack. Wie kam es dazu und wodurch haben Sie sich inspirieren lassen
Während ich die Fassung geschrieben habe, habe ich mich oft gefragt: Wie kriege ich den Humor dieser vielen Wortwitze im Roman transportiert, die ich nicht in die gesprochene Sprache übersetzen kann? Dann habe ich einen Dokumentar- beziehungsweise Kunstfilm über West-Berlin gesehen, in dem ganz viel Musik vorkam und der dieses spezielle Lebensgefühl sehr gut transportiert hat. Inspiriert wurde ich vor allem durch die Musik der 1980er Jahre. Ich hatte vorher schon die Band Fehlfarben im Auge, deren Lied "Hier und Jetzt" fast schon eine Art lyrische Inhaltsangabe des Stücks ist.

"Die Schatten der Vergangenheit/Wo ich auch geh', da sind sie nicht weit/Ich weiß nicht einmal, wer ich bin", heißt es im Song. Das passt ja sehr gut zu einem Roman, in dem es auch um vererbte Traumata geht. Was für Musik hatten Sie sonst so im Ohr?
Die Frauenband Malaria, Iggy Pop, Diamanda Galás und die Einstürzenden Neubauten. Insgesamt fand ich es schön, dass die Visionen der männlichen Hauptfigur durch die musikalische Unterlegung sehr geräuschlastig geworden sind, was dem Ganzen eine weitere Ebene hinzufügt.

"Mein Leben in  Aspik" © Arno Declair

"Mein Leben in Aspik" © Arno Declair

"Mein Leben in  Aspik" © Arno Declair

"Mein Leben in Aspik" © Arno Declair

"Mein Leben in  Aspik" © Arno Declair

"Mein Leben in Aspik" © Arno Declair

Der Roman wird aus der Perspektive eines Mannes erzählt. Wie sind Sie mit dieser Vorgabe umgegangen?
Ursprünglich hatte ich die Idee, dass in jeder Szene zwischen Mann und Frau gewechselt wird. Ich wollte, dass Susanne Jansen auch die männliche Hauptfigur spielt, und Simon Brusis auch die Oma, dass es also an dieser Stelle einen permanenten Geschlechtertausch gibt. Ich wusste, dass ich aus der heteronormativen Zweierbeziehung nicht rauskomme, wollte aber gern vermeiden, dass es einen männlichen Protagonisten gibt, um den sich die Frau so orbitmäßig herumbewegt.

Wie haben Sie das dann gelöst?
Es bleibt seine Geschichte. Ich habe die Frauen aber immer als die ihn treibende Kraft gesehen. Sie sind sehr unabhängig, während ich ihn eigentlich immer als Soft Boy wahrgenommen habe, der sich seiner Verantwortung nicht stellt. Deswegen finde ich es auch okay zu sagen, ja, es ist eine männliche Perspektive, aber gleichzeitig auch eine Möglichkeit, zu fragen: Wie kann ich als Mann Dinge aufarbeiten? Denn diese Aufgabe wird ja üblicherweise den Frauen einer Familie überlassen. In "Mein Leben in Aspik" hat man jetzt mal einen Mann, der irgendwann sagt: "Schluss jetzt, ich gehe jetzt selber hin und kümmere mich." So übernimmt er auch ein Stück weit Verantwortung. Die Frauen der Geschichte sind sein Korrektiv. Genauso wie auch Susanne Simon beim Spielen in seine Schranken weist.

Mehr zur Autorin

Leonore Henning studiert Theaterwissenschaft und Soziologie an der LMU München. Wenn sie nicht gerade über einer Hausarbeit brütet, geht sie ins Theater oder steht in Jugendclubproduktionen selbst auf der Bühne.

Leonore Henning

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