Doppelspitze
Datum
Interview: Michèle Loetzner
Für die neue Spielzeit am Münchner Volkstheater entwickelt ihr als Duo "Tacheles und Tarantismus" eine Trap-Oper. Vermutlich haben die meisten Menschen über 30 von diesem Genre noch nie gehört. Wie erklärt ihr, was damit gemeint ist?
Trap ist ein Hiphop-Subgenre, das in den 1990er-Jahren in den Südstaaten der USA seinen Ursprung hat. In den Zehnerjahren gab es dann eine neue Variante, die EDM, also elektronische Tanzmusik, damit kombiniert hat, eine Mischung aus Rap und Dance Musik. Trap steht für "Falle" und darin sahen sich die Vertreterinnen und Vertreter gefangen. Das findet sich auch in der inhaltlichen Ausrichtung der Texte wieder.
Und was hat diese Musik mit eurem Stück zu tun?
Es geht um eine gesellschaftliche Dystopie und somit eben auch um die Falle. Wir wollen den Weg fortzeichnen, den die Menschen bereits eingeschlagen haben. Die aktuelle Gesellschaft hat sich verändert, sie ist in einzelnen Zügen totalitärer geworden. Der Kapitalismus hat ganz allgemein seinen Zenit längst überschritten. Alles muss immer mehr werden und größer. Da ist der Kollaps vorprogrammiert. Menschen werden militanter und nachfolgende Generationen fühlen sich ohnmächtig, weil sie mit elementaren Problemen wie der Klimakrise konfrontiert sind. In unserem Stück spitzen wir diese Entwicklungen zu.
In unserer Arbeit verbinden wir die musikalische Dystopie mit der Opulenz der Oper, die ja nun auch gleichzeitig gut zum Prunk und der Symbolik des Hiphop passt: hedonistischer Lifestyle, Drogenkonsum, Markenklamotten, sexistische Stereotypen — und das alles aus der Perspektive der Generation Z.
Dafür muss man Theater anders denken als bisher.
Das macht aber sicher auch eine Schere beim Publikum auf, thematisch wie darstellerisch, oder?
Ja, ganz sicher sogar. Theater ist ja oft Frontalunterhaltung. Wir sehen das als Performance, an der auch teilgenommen werden kann. Für viele ist der Bühnenraum etwas Sakrales. Bei uns gibt es durch die Musik aber eben auch mal einen Moshpit, in dem Menschen wild tanzen.
Wir wollen nicht nur die üblichen zehn Prozent im Theater erreichen, die man ohnehin bedient. Wir wollen Künstler*innen aus anderen Bereichen, wie eben dem Hiphop mitbringen, um auch andere, vor allem jüngere Menschen zu erreichen. Dafür muss man Theater anders denken als bisher.
Wie denn?
Wir nennen uns weder Duo noch Kollektiv, sondern Theaterlabel, und denken das auch ökonomisch anders. Früher kümmerten sich Regisseur*innen so gut wie ausschließlich um ihre Kunst. Werbung zum Beispiel überließen sie anderen, so etwas wie Merchandise gab es selten bis kaum. Da wurde darauf vertraut, dass schon irgendwer aus der hauseigenen Pressestelle jemanden im Feuilleton kennt, der oder die dann hoffentlich was darüber schreiben wird. So funktioniert das heute nicht mehr, dazu sind die Kanäle zu vielfältig geworden. Zum Glück muss man fast sagen, denn das öffnet diese doch oft elitären Veranstaltungen für Menschen, die jetzt nicht unbedingt ein Theater-Abo auf ihrer Wunschliste haben.
Die Arbeit am Stück macht bei uns vielleicht 50 Prozent aus, die anderen 50 Prozent bestehen aus Vermarktungsfragen. Bieten wir Merch an, also Shirts oder Alben, die man bei Spotify streamen kann? Wo bewerben wir? Wie nutzen wir Social Media? Wie erreichen wir eben jene Leute, die sonst nie ins Theater gehen? Wir brauchen diese ganzen Verlängerungen, um breite Zugänge zu schaffen, junge Menschen zu erreichen, und unsere Kunst finanzieren zu können.
Wir versuchen einfach, weiter zu denken: Was passiert, wenn das übliche Stammpublikum eines Theaters nicht mehr da ist? Und wie kann das Rezeptionsverhalten jüngerer Generationen Inspiration für unsere Arbeit sein? Wir stehen schließlich im Wettbewerb mit Netflix, Spotify und YouTube, und nicht unbedingt mit anderen Inszenierungen.
Wie gestaltet sich eure Zusammenarbeit, sind die Aufgaben klar verteilt?
Da muss ich jetzt leider ein Wort benutzen, das schon ziemlich überstrapaziert ist, aber einfach genau passt: Wir arbeiten interdisziplinär. Trotzdem hat jeder von uns beiden ein Kernthema. Tobi ist für Text und Dramaturgie verantwortlich, ich für die Regie. Dann kommen alle anderen Gewerke dazu wie Musik und so weiter. Die koordinieren wir gemeinsam.
Genau. Wir machen zusammen eine Vorproduktion und behalten dabei im Auge, was wir zusätzlich in welchem Zeitraum brauchen. Darin sind wir ziemlich diszipliniert und vorausschauend. Wir schaffen den kreativen Raum, damit wir gemeinsam im Kollektiv etwas erschaffen können.
In unserer Arbeit verbinden wir die musikalische Dystopie mit der Opulenz der Oper.
Das klingt so harmonisch. Gibt es auch Konflikte?
Kunst kommt nie ohne Konflikte aus. Ohne eine gewisse Reibung kann wahrscheinlich gar nichts Spannendes entstehen. Nur weil wir gut zusammen arbeiten, heißt das aber nicht, dass wir immer einer Meinung sind. Dann wird das Problem eben so lange ausdiskutiert, bis alle zufrieden sind oder zumindest ein Kompromiss gefunden wird. Aber ganz grundsätzlich arbeiten wir tatsächlich sehr harmonisch zusammen. Wir sind schließlich Cousins, kennen uns von klein auf, und wohnen sogar zusammen. Da verschwimmen natürlich oft Grenzen. Es passiert schon mal, dass wir uns nachts gegenseitig wecken, wenn einer von uns eine gute Idee hat.
: Wir vertrauen uns blind. Der eine fängt den anderen auf, wenn er in einer Sackgasse steckt. Unsere Freundschaft steht ebenso wie unsere Kunst auf einem stabilen Fundament. Das liegt sicher viel an uns, aber ich glaube, das hat auch etwas mit unserer Generation zu tun. Die Zeiten der Alphas, die niemanden neben ihrem Thron dulden, sind vorbei. Das ist eigentlich eh eine der größten Widersprüchlichkeiten des Theaters: Da heißt es, im Theater darf man alles, das ist der freiste Raum, den unsere Gesellschaft zu bieten hat, jede Stimme soll gehört werden. Und hinter den Kulissen herrscht dann ein grober Umgangston und eine harte Hierarchie, ein A-Linien-System wie in der katholischen Kirche.
: Ganz genau. Und exakt so etwas wollen wir nicht. Und das muss auch gar nicht sein. Aus meiner Beobachtung tut sich da viel. Wertschätzung und Perspektivwechsel sind doch ein ohnehin viel angenehmerer Kreativitätsmotor als Autokratie. Die entmachtet sich ja gerade selber, weil keiner mehr Lust hat darauf. Wir auch nicht.
Habt ihr Sorge, dass man euch nicht auseinanderhalten kann, wenn ihr im Arbeitskontext immer zu zweit auftretet?
: Wir versuchen dem gegenzusteuern, indem wir uns als Label begreifen. Aber jeder steht für sich und seine Stärken.
: Am Ende müssen das eh die Leute beurteilen, die mit uns arbeiten. Wir halten uns mit so etwas gar nicht auf. Wir können und wollen den Leuten nicht vorschreiben, was sie denken sollen.
Wir nennen uns weder Duo noch Kollektiv, sondern Theaterlabel.
Wann habt ihr angefangen, eure Arbeit zu professionalisieren?
: Seit 2018 können wir davon leben. Wir haben eine Art Stammteam, mit dem wir arbeiten,
das aus vielen verschiedenen Generationen besteht. Schließlich wollen wir ja auch alle erreichen. Wir haben zum Beispiel mal ein Techno-Theater gemacht. Bei der Premiere wünschte sich ein Teil der Zuschauer*innen eine Bestuhlung, der andere nicht. Wir haben dann den halben Saal zum Sitzen vorbereitet, die andere Hälfte zum Tanzen. Es sollte sich keiner zu etwas gezwungen fühlen. Am Ende haben dann aber doch alle zu Goa getanzt. Das war ein großartiges Erlebnis. So etwas funktioniert natürlich nicht immer. Es braucht auch da eine gewisse Offenheit. Aber wenn es klappt, geht uns das Herz auf.
: Im besten Fall klappt das im Münchner Volkstheater auch. Wir haben Trap als Musikgenre gewählt, weil man sich dem schlecht entziehen kann.
: Ja, die Beats pumpen schon ziemlich. Wenn dann noch die 808-Drumcomputer einsetzen, setzt das viel Energie frei. In jedem Fall wünschen wir uns einen Dialog mit dem Publikum. Es tut ja immer gut, die eigene Blase im Kopf mal zu verlassen.