Eine explosive Mischung

Das Nationaltheater Weimar bringt Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" auf die Bühne. Unter der Leitung von Regisseurin Luise Voigt formiert sich ein konzentriertes Schauspiel in vielen Farben, das keinen Stein auf dem anderen lässt.

Autorin: Clara Quebbemann

"Was täte das Gute, wenn das Böse nicht wäre?" – In Bulgakows bunter Gesellschaftssatire treibt der Teufel im Moskau der 1930er-Jahre sein Unwesen und wirbelt die stalinistische Ordnung gehörig auf. Rationale Erklärungsversuche der Behörden scheitern. Verschont werden nur Margarita und ihr Geliebter, der Meister – Autor eines Pontius-Pilatus-Romans.

Der russische Schriftsteller Michail Bulgakow begann die Arbeit an seinem bekanntesten Werk im Jahr 1928 und diktierte seiner Frau erst unmittelbar vor seinem Tod im Jahr 1940 die endgültige Fassung. Für die Regisseurin Luise Voigt ist dieser Roman ein echtes Dokument der Kunstfreiheit, denn kaum ein Theatertext Bulgakows hatte es durch die stalinistische Gleichschaltung zur Aufführung geschafft: "Bulgakow hat diesen Roman bereits schwer erkrankt, in dem Wissen geschrieben, dass eine Veröffentlichung, geschweige denn eine Anerkennung seiner Leistung vollkommen ausgeschlossen sind. Dieser Text ist so übervoll von Freiheit, Frechheit, Wut, Liebe, Lebenslust, Fantasie und Klamauk, wie es wohl nur unter diesen Umständen möglich wurde. Ein Dokument und ein Beweis für Kunstfreiheit aller Wahrscheinlichkeit und allem Widerstand zum Trotz."

 

Regisseurin Luise Voigt © Sebastian Bühler
Dieser Text ist so übervoll von Freiheit, Frechheit, Wut, Liebe, Lebenslust, Fantasie und Klamauk, wie es wohl nur unter diesen Umständen möglich wurde.

Der schieren Masse an Text (fast 600 Seiten umfasst der Roman) begegnet die Regisseurin vor allem über den Autor: "Ich habe mich mit Bulgakows Programm verbündet und bin von da aus recht eigenmächtig mit dem Text umgegangen." Das bedeutet auch das Eindringen in Bulgakows Biografie und somit in die Tiefe des sowjetischen Überwachungsstaats unter Stalin in den 1930er-Jahren. Hier gehörte der Autor als Veteran des russischen Bürgerkriegs und Mitglied der "weißen Bewegung" zu den kritischen Stimmen, weshalb der Roman samt seiner enthüllenden Satire erst im Jahr 1966 im Zuge der Entstalinisierung veröffentlicht wurde.

Inwiefern russische Kunst in weltpolitisch angespannten (Kriegs-)Zeiten aufgeführt werden sollte, ist heute ein strittiges Thema. Die Inszenierung Bulgakows "Der Meister und Margarita" sei schon lange Zeit vor Kriegsausbruch geplant worden, so die Regisseurin. Jedoch hatte der Krieg dann natürlich großen Einfluss auf die Proben und das Ergebnis. Bulgakow selbst wurde in Kiew geboren und zog erst mit 30 Jahren nach Moskau, um dort für eine Reihe an Zeitungen zu arbeiten. Den Russ:innen zu ukrainisch und den Ukrainer:innen zu russisch, lebte er verarmt und in Bedrohung durch die enge Ordnung des Regimes. Luise Voigt stellt in ihren Recherchen fest, dass ein großer Anteil russischer Literatur eine Literatur des Widerstands war und ist: "Wir dürfen uns sicher sein, dass zukünftige Bulgakows gerade in diesem Moment an Romanen für die (vorläufige) Schublade arbeiten."

Rasant wie eine Achterbahnfahrt.

Die disparaten Elemente Bulgakows Romanvorlage reichen von Fiktion und Sagenerzählung über historische Bezüge bis hin zu Satire oder blankem Witz. Das in ein Bühnenkonzept zu überführen – eine echte Aufgabe. So "rasant wie eine Achterbahnfahrt" charakterisiert Voigt die Lektüre. Auf dieses Tempo und die inhaltlichen Beiträge zu kommen, ohne aus der Bahn zu fliegen, sei die wohl größte Herausforderung gewesen, sagt sie rückblickend.

Meister und Margarita © Candy Welz

Vor einem minimalistischen Altbau in optisch täuschender Perspektive findet das Publikum ein opulentes Stimmungsspektrum wieder. Von bedrohlichen Teufelsreden, die Wahnsinn säen und dunklen Humor streuen, über prompte Gesangseinlagen und komödiantische Romantik, bis hin zu lange stehenden Bildern voller Ruhe ist alles dabei. Da wird gerannt, getanzt, geschrien, erlöst und sich in Trance gedreht. Klingt absurd? Vermutlich ist es das, wenn man sich an realistischen Maßstäben orientieren möchte, denn tatsächlich steht das Stück logisch-linearen Gewohnheiten entgegen und bricht mit dem "Vernünftigen". Da habe man es überhaupt nicht mehr mit Realismus zu tun, sondern viel mehr mit Energie, Wut, Witz, Lust und Hingabe – einer ganz speziellen Dimension von Realität, die sich nicht genau abbilden lasse, sondern zwischen uns vibriere, so Voigt. 

Die schauspielerische Leistung ist denkbar hoch und erfordert ein elektrisierendes Energielevel der Künstler:innen. In Vorbereitung auf das Bühnenspektakel haben Voigt und die Schauspieler:innen deswegen während der ersten Probenphase mit Ankoku Butō gearbeitet. Diese japanische Form des Tanztheaters soll das Abgeben von Kontrolle fördern. Weg vom Rationalen wollte die Regisseurin, hinein in das Irrationale. Und auch, wenn bei der Inszenierung kein Butō getanzt wird, spricht aus der hohen Frequenz und Körperlichkeit des Abends, dass die Inspiration vom "Tanz der Finsternis" Früchte getragen hat und mit den existenziellen Hauptthemen des Stücks wie Vergebung, Tod und Erlösung eine explosive Verbindung eingeht. 

 

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Mehr zur Autorin

Clara Quebbemann

Clara Quebbemann ist 22 Jahre alt und studiert an der Technischen Universität Dortmund Musikjournalismus. Auch neben der Musik mag sie Kunst und Kultur jeglicher Form und befindet sich gerade auf Entdeckungsreise. 

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