"Ich finde es gut, wenn es die Leute erwischt"

Das Institut für Medien, Politik & Theater erarbeitet am Tiroler Landestheater ein Rechercheprojekt über den Tiroler Wintertourismus: "Gondelgschichten". Ein Gespräch mit Regisseur Felix Hafner.

Interview: Anne Fritsch

Sie kommen aus der Steiermark – fahren Sie Ski?
Selten, aber ja. In Österreich gehört das quasi zur Schulbildung. Ich bin wie die meisten damit aufgewachsen. Inzwischen ist es sporadischer geworden, aber ein Bezug ist auf jeden Fall da.

Mit der Dramaturgin Emily Richards und der Journalistin Anna Wielander haben Sie das "Institut für Medien, Politik und Theater" gegründet. Wie kam es dazu?
Wir kennen uns vom Theatermachen in Wien, Emily Richards hat Dramaturgie bei einer meiner Produktionen gemacht, die Journalistin Anna Wielander habe ich über die Recherchen für unser erstes gemeinsames Projekt kennengelernt, "Die Fellner-Lesung". Da haben wir Interviews des österreichischen Boulevard-Medienmacher Wolfgang Fellner als szenische Lesung präsentiert. Es hat uns total viel Spaß gemacht, mit Originalmaterial zu arbeiten, weil Österreich da extrem viel an absurden gesellschaftlichen und politischen Äußerungen zu bieten hat. Während dieser Arbeit haben wir gemerkt, wieviel Potential das hat, wenn wir journalistische Recherche und Theatermittel zusammenfügen. Da wir aus verschiedenen Bereichen kommen, konnten wir viel voneinander lernen. Die Idee, ein Kollektiv zu gründen, in dem wir langfristig zusammen arbeiten, ist dann step by step entstanden.

Das Institut für Medien, Politik & Theater, Mittig: Felix Hafner (c) Tobias Pichler

Wie kamen Sie auf die Idee zu den "Gondelgschichten"?

Wir haben dem Tiroler Landestheater vorgeschlagen, ein dokumentarisches Projekt zu machen, ausgehend von der Causa Ischgl während der Corona-Pandemie. Da hat man auch in Österreich gecheckt, was für eine irrsinnige Macht hinter dem Tourismus steckt und wie der Wintertourismus auch in der Bundespolitik über so viel anderes gestellt wurde. Das hat einiges sichtbar gemacht, was bis dahin nicht so offensichtlich war. Wir wollten uns mal grundsätzlich anschauen, wie dieses Tourismus-Land Tirol funktioniert – und haben dafür fast ein Jahr recherchiert.

Und das Theater war nicht skeptisch, dass Sie aus Wien kommen und dann so eine Art von Tirol-Bashing machen?

Natürlich war vorprogrammiert, dass irgendwann dieses "Jetzt kommen die Wiener und machen was über Tirol" kommt, weil das Verhältnis Wien-Tirol ist ja ohnehin ein irgendwie gestörtes. Aber für das Theater war das kein Hinderungsgrund, die wussten, dass wir sehr genau arbeiten und kein einfaches Bashing machen.

Die Vorstellung, die ich in Innsbruck gesehen habe, war sehr voll und kam gut an – wie hat denn das Publikum insgesamt reagiert?
Wir hatten zunächst nur acht Vorstellungen in einer kleineren Spielstätte geplant. Wegen der großen Nachfrage gab es dann immer weitere Zusatzvorstellungen auf der größeren Bühne. Das Ensemble erzählt mir zwar auch, dass es immer Leute im Publikum gibt, die sehr finster dreinschauen, aber das ist ja auch eine ganz gute Bestätigung. Ich finde es gut, wenn es die Leute erwischt und sie danach noch weiter darüber diskutieren.

Das Stück bietet ja viele Möglichkeiten, sich mit dem Inhalt nicht wohl zu fühlen. Auch wenn man selbst kein Seilbahnbesitzer oder Ischgl-Fan ist, sondern einfach nur gerne Ski fährt, wird einem schmerzlich bewusst, dass das wohl leider nicht das Konzept der Zukunft ist.
Das wissen ja im Grunde alle, auch die Leute in der Tourismus-Branche. Umso heftiger ist es, wie veränderungsresistent da viele sind. Alle wissen eigentlich, dass der Klimawandel das alles verunmöglicht. Und natürlich gibt es auch Strömungen, die sich für den Erhalt der Natur und gegen den Massentourismus einsetzen. Auf der anderen Seite sind in diesem Bereich eben Politik und Wirtschaft so eng miteinander verknüpft, dass die Spielregeln für einander gemacht werden.

Es gibt in unserer Inszenierung einen Kippmoment, wo man nicht genau weiß, wie man darüber noch lachen kann.

Im Stück fallen Sätze wie "Die Berge sind den Tirolern hilflos ausgeliefert" oder "Die Natur darf in unserem Business überhaupt keine Rolle spielen". Vermeintliche Klimaschutzprojekte werden als Augenwischerei und Kundentäuschung entlarvt, in Ischgl will man Königspinguine ansiedeln – geht’s noch?
Das ist ein absoluter Wahnsinn, und der kennt keine Grenzen. Da kommen auch immer neue Beispiele, die wir dann noch einbauen, weil wir es gar nicht glauben können. Wir starten eigentlich in einem ziemlich einfachen Setting, aus dem es sich immer weiter hochschraubt. 

#hinterdenkulissen

Wie auch der Massentourismus.
Ja, genau. Und es gibt in unserer Inszenierung auch so einen Kippmoment, wo man nicht genau weiß, wie man darüber noch lachen kann. Weil einem die ganze Dimension bewusst wird.

Sie arbeiten im Stück aber auch die historische Entwicklung heraus, die Abhängigkeit entlegener Gegenden vom Tourismus. Aber irgendwann hat es sich halt komplett verselbständigt.Es war halt nicht mehr zu regulieren und zu kontrollieren. Wenn etwas als Monopol aufgebaut wird, entsteht eben eine komplette Abhängigkeit. Wir lassen das nebeneinander stehen und aufeinander prallen: wo es herkommt und wo es hinführt. Wir wollen nicht eine Sicht präsentieren, sondern mehrere Blickwinkel. Es gab sehr lange kein Interesse, irgendwas zu ändern, weil einige Männer extrem davon profitiert haben. Diese Prozesse sind ja nicht neu, die hat der Felix Mitterer schon in den 1990er Jahren in der "Piefke-Saga" unheimlich gut beschrieben.

Viele der Aussagen, auf die wir in unseren Recherchen stoßen, kann man sich einfach nicht ausdenken.

Gibt es denn nur ein "weiter so bis zum bitteren Ende" oder ein komplettes Ende vom Tourismus – oder ist ein Umschwenken doch noch möglich?
Viele Destinationen wollen jetzt auf einen ganzjährigen Tourismus umschwenken, weil die Branche insgeheim weiß, dass sie nicht mehr nur auf die Winter bauen kann. Da findet schon ein Umdenken und vielleicht auch ein Generationenwechsel statt. Da ist viel los im Moment, es findet aber auch viel Greenwashing statt.

Was reizt Sie am Dokumentarischen im Theater? Ist die Wirklichkeit an sich einfach die verrückteste Geschichte, die man erzählen kann?
Das ist auf jeden Fall einer der Hauptgründe. Viele der Aussagen, auf die wir in unseren Recherchen stoßen, kann man sich einfach nicht ausdenken. Diese Dinge wollen wir in einen Kontext und zur Diskussion stellen. Wenn ein Publikum, das eine Fiktion erwartet, mit einer Realität konfrontiert wird, die total fiktiv wirkt, und dann mit der Frage rausgeht "Ist das denn wirklich so?" – dann haben wir schon ziemlich viel erreicht.

Mehr zur Autorin

Anne Fritsch studierte Theaterwissenschaft und Germanistik an der LMU München, dann Kulturkritik an der Theaterakademie August Everding. Seitdem arbeitet sie als freie Autorin und Redakteurin für verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften wie Die deutsche Bühne. 2021 hat sie die Heftleitung der Jungen Bühne übernommen.

 

Das Radikal jung Festival 2023 wird in Kooperation mit der Jungen Bühne unter der Leitung von Anne Fritsch von jungen Autor*innen und Kulturjournalist*innen begleitet! Täglich erscheinen neue Artikel auf unserem Blog. Blickt in Interviews, Vorberichten, Festivaltagebüchern oder Videos hinter die Kulissen des Festivals!