"Man hat nur die Gefühle"
Datum
Interview: Sophie-Margarete Schuster
"Goodbye, Lindita" ist eine Produktion, die vollständig auf den gesprochenen Dialog verzichtet. Worin liegt für dich der Gewinn eines non-verbalen Theaters? Was kann in dieser stillen Form der Kommunikation gefunden werden?
Mario Banushi: Es geht darum, jede*n einzubeziehen. Es ist physisches Theater. Denn manchmal ist Sprache – und das betrifft nicht nur Fremdsprachen, sondern auch die eigene – eine Barriere für unsere Gefühle, unsere Bewegungen und Gedanken. Ich merke, dass in meiner Umwelt, in den Menschen, in meiner Stadt Gefühle etwas sind, das wir nicht so sehr nutzen. Oder der Augenkontakt oder die Berührung. Aber ich mag diese Art von Verbindung mit anderen Menschen. Denn manchmal sind Worte – und ich sage nicht, dass Worte nicht wichtig sind – der einfache Weg. Ich meine, wenn wir etwas fühlen, können wir einfach einen Witz erzählen, um das Gefühl, die Unbeholfenheit, zu stoppen. Aber warum sollten wir die Unbeholfenheit stoppen? Warum können wir sie nicht einfach dalassen und mit ihr leben? Um dann sehen wir, was daraus entsteht.
Was wird für die Zuschauenden durch diese Überwindung der Sprachbarriere in "Goodbye, Lindita" sichtbar? Wovon handelt dein Stück?
"Goodbye, Lindita" ist ein Stück über den Tod meiner Stiefmutter. Ihr Name war Landita. Es ist ein Stück, das ihrer gedenkt, das meiner Familie gedenkt. Und in der Trauer meiner Familie haben wir keine Worte gebraucht für unsere Gefühle, unsere Tränen und unsere Trauer. Und wir verwenden immer noch keine Worte, denn man hat nie Worte für die Menschen, die gehen. Man hat nur die Gefühle.
Für mich ist das Theater keine Lösung, sondern eine Medizin für unsere Gefühle und eine Möglichkeit, mit ihnen zu arbeiten.
"Goodbye, Lindita" ist also so etwas wie das Porträt eines Abschieds. Was hat dich dazu bewegt, das Theater als einen Ort der Trauer zu nutzen? Inwiefern hat dich das Theater in deinem Prozess des Abschieds begleitet?
In meinem Verständnis haben Theater und Kunst mit dem Leben selbst zu tun – und mit nichts anderem. Für mich ist das Theater keine Lösung, sondern eine Medizin für unsere Gefühle und eine Möglichkeit, mit ihnen zu arbeiten. Als ich darüber nachdachte, was ich im Nationaltheater von Griechenland inszenieren könnte, begann ich über Shakespeare und Tschechow nachzudenken. Ich hatte immer diese Schauspielschule im Kopf: die Dinge, die man tun muss, und die Dinge, die man wissen muss. Und dann sagte ich zu mir selbst: Nein, ich will das nicht. Ich will meinen eigenen Weg gehen. Also fragte ich mich: Worüber denke ich jeden Tag nach? Ich denke an meinen Vater, meine Mutter, und daran, dass sie nicht mehr leben. Ich denke an ihre Körper und an ihre Beerdigungen. Ich habe immer diese Bilder in meinem Kopf, und sie sind so stark. Also will ich darüber sprechen. Ich werde nicht allein in meinem Haus weinen, sondern ich werde ins Theater gehen und in der Öffentlichkeit weinen. Es war ein beeindruckender Moment, als nach einer Aufführung eine Mutter zu mir kam. Sie sagte: "Ich habe vor einem Jahr meinen Sohn verloren, und dieses Stück hat mir ein wenig Last von den Schultern genommen." So etwas von einer Person zu hören, die trauert, ließ mich realisieren, dass ich mit diesem Stück etwas Gutes gemacht habe.
Du kannst Kunst nicht abliefern. Echte Kunst kommt aus deinem Herzen und nicht aus der Lieferung von etwas.
An etwas zu arbeiten, das die eigene Trauer konfrontiert, ist nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine persönliche Herausforderung. Wie hat sich der Probenprozess in diesem Zusammenhang für dich gestaltet?
Wir benutzen dieses Sprichwort in Griechenland: Μην βάζεις τα πράγματα κάτω από το χαλί. Es bedeutet: Du sollst die Dinge nicht unter den Teppich kehren. Denn wenn du diesen Teppich anhebst, wird es da sein. Das Gefühl wird da sein. Also sagte ich zu mir selbst: Ich will dieses Gefühl und meine Trauer nicht unter den Teppich kehren. Ich will es nicht in meinem Haus lassen. Natürlich ist es wirklich schwer, aber ich wollte ins Theater gehen und es mit meinem Team teilen, um etwas zu erschaffen. Was wirklich geholfen hat, war, dass das Theater mir komplett vertraut hat. Ich denke, das Vertrauen in die Künstler*innen ist das Wichtigste. Es geht darum, den Künstler*innen Raum und Zeit zu geben, um etwas zu erschaffen. Denn du kannst Kunst nicht abliefern. Echte Kunst kommt aus deinem Herzen und nicht aus der Lieferung von etwas.
Mehr zur Autorin
Sophie-Margarete Schuster geboren 2001 in Frankfurt am Main. Regie-Hospitanz an der Volksbühne Berlin (2020). Studium der Geschichts- und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Studentische Mitarbeit in der Redaktion der geschichtswissenschaftlichen Informations- und Kommunikationsplattform "H-Soz-Kult". Ehrenamtliche Mithilfe in transnationalen Theaterprojekten der KULA Compagnie. 2023 erstmals journalistisch für "Theater der Zeit" aktiv und freiberuflich als Lektorin für den Verlag.