"Mir war klar, dass ich eine kranke Bauchrednershow machen möchte"
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Interview: Svenja Plannerer
Du beschäftigst dich mit Humor und Krankheit in performativen Künsten. Wie kam es dazu?
Hendrik Quast: Die Frage nach Humor in der Performancekunst hat für mich in allen meinen bisherigen Arbeiten eine große Rolle gespielt. Ich habe auch immer wieder unterschiedliche Humorformen ausgetestet. Eine besondere Herausforderung hat sich ergeben, als ich meine Darmkrankheit zum Thema machen wollte. Ob sich Humor dafür überhaupt eignet, und wenn ja, welche Form? Ich habe eine Bauchrednershow gewählt, weil ich die Metaphorik, mit dem Bauch zu reden, in Bezug auf das Thema sehr interessant fand.
Wie hast du dich dieser Kunst angenähert?
Ich habe mir sehr genau angesehen, wie Bauchrednershows im Fernsehcomedy-Bereich gestaltet sind. Dieser Humor ist stark auf Lacher zu bestimmten Pointen getrimmt. Mir war klar, dass ich eine kranke Bauchrednershow machen möchte. Das heißt für mich, dass die Komik nicht immer funktioniert oder die Leute an die Grenzen des guten Humorgeschmacks drängt.
Das Stück bekam eine neue Dringlichkeit, als wir durch die Corona-Pandemie plötzlich mit einer unbekannten, unsichtbaren Krankheit konfrontiert waren.
Wie waren die Reaktionen auf diese kranke Bauchrednershow bisher?
Die Reaktionen sind sehr positiv. Das Publikum erkennt einerseits etwas Vertrautes in der Art, wie sich Bauchredner und Puppe zueinander verhalten. Andererseits bekommt es Einblicke in eine ihm unbekannte Lebensrealität mit einer chronischen Krankheit. Dieses Wissen wird nicht als etwas Mitleid-Erregendes auf die Bühne gestellt, sondern immer über die Puppe als Drittes gespielt. Das eröffnet nochmal einen anderen Interpretationsraum: Was ist daran gelebt, was wird vielleicht überspitzt? Diese Grenzen von eigener Erfahrung und Autofiktion werden stark mobilisiert.
Was war der Impetus, das Stück genau zu dem Zeitpunkt zu machen, zu dem du es gemacht hast?
Meine Erstdiagnose ist über zehn Jahre her, und ich wollte die Krankheit schon immer zum Thema machen, habe aber nie die passende Form gefunden. Bis ich eben zufällig auf das Bauchreden gekommen bin. Das Stück bekam eine neue Dringlichkeit, als wir durch die Corona-Pandemie plötzlich mit einer unbekannten, unsichtbaren Krankheit konfrontiert waren. Die Colitis Ulcerosa ist zwar nicht unbekannt, aber eine unheilbare Krankheit, die in vielen Aspekten unsichtbar verläuft, zumindest nach außen hin.
Während eines Schubes fühlt es sich dagegen so an, als würde sich mein Körper verflüssigen.
Wer wen beherrscht, wer die Deutungshoheit über Krankheit hat, scheint in dem Stück auch eine große Rolle zu spielen...
Auf jeden Fall. Die Figurenkonstellation wird erweitert über eine Hand, die einen Arzt verkörpert. Sie bringt immer wieder eine medizinische Sprache und Deutungshoheit mit ins Spiel, wo ein inneres Erleben und eine äußerlich zugeschriebene Diagnose nicht ganz in Einklang kommen. Eine Diagnose zu bekommen, ist ein langer Verstehens- und Akzeptanzprozess, der über die medizinische Sprache und über Diagnosen vielleicht immer wieder bestätigt werden kann. Vielleicht ist aber der Körper noch gar nicht so weit, die Krankheit als solche zu akzeptieren. Das ist bei einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung besonders herausfordernd, weil sie kommt und geht. In gesunden Phasen könnte ich manchmal fast glauben, sie kommt nie wieder. Während eines Schubes fühlt es sich dagegen so an, als würde sich mein Körper verflüssigen.
Hoffst du seitens des Publikums auch für mehr Beschäftigung mit Krankheiten, die von außen nicht sofort sichtbar sind?
Ja, auf jeden Fall. Ich finde es interessant, das Verhältnis von kranken Akteur*innen und gesunden Zuschauer*innen zu befragen, ohne letztere in ihren Privilegien auszustellen, als gesunde Körper im Publikum sitzen zu können. Ich glaube schon, dass mich das auch ein Stück weit antreibt als eine politische Kraft. Aber es geht hier nicht um eine Message, sondern ein performatives Erfahrbarmachen von Phänomenen – und damit auch um Formfragen. Also wie man etwas darstellen kann, nicht nur was. Diese Formfragen spielen mir im Theater eine zu wenig beachtete Rolle, auch in Bezug auf ungewöhnlichen Humor. Damit sie sich aber wieder stellen lassen, müssen Theaterhäuser mehr Freiräume für Künstler*innen bieten und nicht alles auf Vermarktung hin denken.
Mehr zur Autorin
Svenja Plannerer, geboren 1996, ist Psychologin, Autorin, Kulturjournalistin und sehr neugierig. Ihre letzten Abenteuer führten sie zur Buchbinderei und zur koreanischen Sprache, die sie gerade versucht zu lernen.