Sex im Zeitalter des Spätkapitalismus

Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann beschäftigen sich in "FUGUE FOUR : RESPONSE" mit pornografischen Bildern und der Suche nach Zärtlichkeit

Text: Svenja Plannerer

Vier Körper bewegen sich auf dem Boden. Sie nutzen Fitnessbänder, um sich fit zu machen. Zuerst auf allen Vieren, während sie den Nacken stärken, Kopf auf und nieder. Positionswechsel, jetzt spreizen sie die Beine bis in den Spagat, bringen sie wieder zusammen. In ihren Gesichtern sieht man die Konzentration, die Anstrengung. Das Geräusch ihres Atems, ihrer aufeinander klatschenden Schenkel, hallt laut im Raum, während im Hintergrund auf einer Leinwand dieselben Übungen als Video gezeigt werden. Könnte der Anfang eines Amateurpornos sein. Positionswechsel, Positionswechsel – für was wird hier eigentlich trainiert?

Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann beschäftigen sich in "FUGUE FOUR : RESPONSE" mit sexueller Konditionierung im Spätkapitalismus. Die Performance haben sie nach ihrer Uraufführung beim Porn Film Festival Vienna ins Volkstheater Wien und jetzt mit nach München gebracht. 

Olivia Axel Scheucher (c) Daniel Lichterwaldt

Nick Romeo Reimann

Direkt zu Beginn überschüttet eine Roboterstimme das Publikum mit Konstrukten, die mit ihrer verklausulierten Sprache frustrieren. Wichtig vor allem: Der Kapitalismus hat sich alles zu eigen gemacht, nicht mehr nur die Produktion von Dingen. Er überlebt, indem er sich in die Privatsphäre ausbreitet und unsere Körper zum Konsumgut macht. Wir zeigen uns, stellen uns aus, machen uns begehrenswert und fühlen uns gut, wenn alle uns wollen. Verzweifeln daran, wenn uns keine*r will. Und dieses Prinzip gilt eben auch für unsere Sexualität, unseren Sex.

FUGUE FOUR : RESPONSE - Radikal jung 2024

Die vier Darstellenden sehen in ihren kurzen Höschen mit aufgesetzten Rüschen und mit farbigen Patches betontem Genitalbereich schon fast puppenartig-süß aus, besonders, wenn sie mit viel Enthusiasmus und breitem Grinsen über die Bühne hüpfen und tanzen. Später liest sich dieses Kostüm aber auch als Teil einer Choreographie, die die Darstellerin Pilar Borower beklagt: Mit wem sie Sex hatte, weiß sie nicht mehr. Sie erinnert sich nur an das, was sie selbst getan hat, um an diesen Sex zu kommen; wie sie sich gekleidet, geflirtet, sich bewegt und gestöhnt hat. Denn das sei Sex mittlerweile geworden, eine Choreographie, die sich abspult, damit man sich wertvoll fühlen kann. Schon zuvor hat Borower einen Highlight-Moment geschaffen, als sie sich mit steigender Verzweiflung in einer Schleife aus "I’m tired of being tired" und "I want to fall in love with the life I am living" verfangen hat.

Im Publikum sucht er dann genau danach, nach Berührung. Sie kommt, zaghaft, verhalten, befremdlich.
FUGUE FOUR : RESPONSE

Nick Romeo Reimann hält einen witzigen Monolog darüber, wie stolz er auf seine heutige Performance ist, während er einen Strauß aus Würsten in der Hand hält wie einen Preis, in der Mitte eine dicke Salami. Auch witzig, aber unter der Oberfläche doch anrührend in der darunter versteckten Verzweiflung, begehrt und gemocht zu werden, ist der Moment, als er davon spricht, wie sehr er doch daran gewöhnt sei, durch visuelle Reize erregt zu werden, nicht mehr durch Berührung. Im Publikum sucht er dann genau danach, nach Berührung. Sie kommt, zaghaft, verhalten, befremdlich.

Und weil mit 21 die besten Jahre für den Teenage Dream von ununterbrochenem, wildem Sex vorbei sind – die Jagd danach verlief leider erfolglos – will Olivia Axel Scheucher jetzt als MILF kandidieren. Gleich noch eine Frage nach dem Zusammenhang zwischen Verkaufswert und Alter des Körpers also. Ein starkes Bild entsteht, wenn Luca Bonamore, Oberkörper glänzend von Öl, zu Reimanns Gesang tanzt. Scheucher sitzt im Hintergrund und kaut apathisch auf dem Wurststrauß herum. Borower wartet darauf, darüber auszurasten, dass von ihr nichts Privates übrig ist, sie entblößt sich ja ständig in ihren sexy Bildern, mit denen sie ihre Brüste und ihren Arsch ganz nach dem Geschmack ihrer Konsument*innen serviert.

In diesen Momenten liegen die Stärken des Abends. Sie geben wesentlich besser wieder, was der Kern der Arbeit ist, als die Sequenzen, in denen die Computerstimme mit ihren überhöhten Theoriekonstrukten in das Geschehen eindringt. "FUGUE FOUR : RESPONSE" bewegt sich zwischen Meditationsübung, Mechanismustraining und der Suche nach Zärtlichkeit, die dem Markt von Angebot und Nachfrage zum Opfer gefallen ist.

Mehr zur Autorin

Svenja Plannerer (c) Hai Lights Photography

Svenja Plannerer, geboren 1996, ist Psychologin, Autorin, Kulturjournalistin und sehr neugierig. Ihre letzten Abenteuer führten sie zur Buchbinderei und zur koreanischen Sprache, die sie gerade versucht zu lernen.