Lebendige Prärie
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Text: Julia Rothhaas
Auf der Suche nach einem leichteren, einem besseren Leben macht sich Familie Joad wie so viele andere in den 1930er Jahren auf den Weg von Oklahoma nach Kalifornien. Staubstürme und eine verheerende Dürre haben die Lebensumstände so beschwerlich gemacht, dass die verarmte Familie keinen anderen Ausweg sieht, als ihr Zuhause zu verlassen und in einer anderen, hoffentlich angenehmeren Ecke des Landes ihr Glück zu suchen. Leider ohne Erfolg.
Für sein 1939 erschienenes Buch wurde der US-amerikanische Schriftsteller John Steinbeck nicht nur mit dem Pulitzer-Preis, sondern 1962 auch mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Seine journalistisch genauen Recherchen führten letztlich zu dem großen Erfolg des auch dokumentarischen Werks. Diesen für immer verewigten "Road Trip" bringt Regisseur Max Lindemann nun im Münchner Volkstheater auf die Bühne. Kein leichtes Unterfangen, allein schon aufgrund des enormen Umfangs des Romans "Früchte des Zorns": mehr als 500 Seiten.
"Für Bühnenbildner*innen ist es wohl das Schlimmste, das einem passieren kann", sagt Marlene Lockemann und lacht. "Ein Road Trip, über tausend Kilometer lang, mit unzähligen Stopps ... und das alles hat Platz auf nur einer Bühne." Nachdem die Bühnenbildnerin und ihre künstlerische Mitarbeiterin Sina Manthey die vielen Seiten gelesen hatten, versuchten sie, die Geschichte der Familie Joad bildlich so aufzugreifen, dass sie zu den Ansätzen von Regisseur Max Lindemann passen. "Max setzt als Regisseur auf poetischen Hyperrealismus, ich hingegen interessiere mich für technische Mechanismen und denke das Bühnenbild als Mitspielerin", erklärt die 35-Jährige während des Gesprächs im Foyer des Münchner Volkstheaters. "Mich begeistern Räume, die einer eigenen Choreografie folgen, dafür finde ich häufig eher abstrahierende Setzungen." Realismus? Das sei für sie eigentlich nur interessant, wenn man dem etwas entgegensetze. Doch Lockemann und Lindemann können selbst gegensätzliche Herangehensweisen gut miteinander vereinen, das haben sie bereits jüngst bewiesen, als sie im September das erste gemeinsame Stück im Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht haben.
Max hat in seinen Stücken gerne zwei unterschiedliche und sichtbar voneinander getrennte Ebenen.
"Max hat in seinen Stücken gerne zwei unterschiedliche und sichtbar voneinander getrennte Ebenen", sagt Marlene Lockemann. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in "Früchte des Zorns" wieder: Gespielt wird zum einen auf einer realistisch gestalteten Ebene. Auf dem großen, mittig gelegenen Podium verfolgen die Zuschauer*innen die mühevolle Reise der Familie. Parallel gibt es die Spielmacherebene, auf der "Außenstehende" jenseits der Erzählung Regieanweisungen geben und so das Geschehen vorantreiben. Gesprochen werden politische und antikapitalistische Texte von Steinbeck, die Parallelen ziehen zu Problemen, die Menschen nicht nur 1939 bewegten, sondern bis heute für Hass, Gewalt, Krieg sorgen.
Das zentrale Element auf der Bühne ist der "Crack", ein Riss auf dem zehn Meter breiten Hubpodium.
Um die Geschichte in die Szenerie einer Prärie versetzen zu können, durch die Familie Joad zieht, haben sich Lockemann und Manthey einiges einfallen lassen: vertrocknete Mais-Felder und das Zuhause der Joads, eine improvisierte Zeltstadt, Zapfsäule, Flussbett. Ohne zu viel vorab verraten zu wollen: Das zentrale Element auf der Bühne ist der "Crack", ein Riss auf dem zehn Meter breiten Hubpodium, das in die Unterbühne fahren kann und dort immer wieder neu bestückt wird. "Wie eine Art auf der Bühne integrierter Fahrstuhl, der überraschende Bilder aus dem Abgrund auftauchen lassen kann", so Lockemann. Zum Teil stehe der "Crack" auch qualmend offen, ein Sinnbild für die immer trockener werdende Erde sowie für die politisch instabilen Zeiten. Auch von oben, aus dem Schnürboden, kommen neue Bühnenbildfragmente dazu. "Die technischen Möglichkeiten im Haus haben uns sehr inspiriert, unsere Vorstellungen von technischen Mechanismen auch umzusetzen", sagt Marlene Lockemann, für die es bereits die dritte Produktion am Münchner Volkstheater ist. 2016 begann sie ihre Karriere als Bühnenbildnerin hier mit "Katzlmacher", 2023 folgte "Pension SchöllerInn!".
"Die vielen Umbauten machen total Spaß, weil da so viel passiert", sagt auch Korbinian Wegmann, der als Bühnenmaschinist hinter den Kulissen das umsetzen muss, was sich Regie und Bühnenbild zuvor ausgedacht haben. Der 29-Jährige arbeitet seit zehn Jahren am Münchner Volkstheater und kümmert sich um alles, was von oben (Schnürboden) oder unten (eine Ebene unterhalb der Hauptbühne) auf die Bühne kommt. Bei einem Teil der aktuellen Produktionen im Haus sei für ihn und seine Kollegen gar nicht so viel zu tun, da kommt "Früchte des Zorns" mit seinen aufwendigen Aufbauten gerade recht.
Pro Umbau hat sein Team während der Vorstellung wenige Minuten Zeit, erklärt Wegmann auf dem Weg durch die Kulissen, dann muss der "Crack" wieder neu bestückt sein, damit die Familie ihre Reise an der nächsten Station weiterführen kann. Die kurze Zeit ist allerdings nicht das Thema, vielmehr sei eine der größten Herausforderungen während einer Vorstellung: "Ich sehe nicht, was unter der Bühne passiert. Zum Glück kann ich mich auf mein Team aber wunderbar verlassen". Damit die Umbauten so fließend wie möglich vonstatten gehen, ist Wegmann über Funk mit Bühnenmeister und den Technikern in der Unterbühne verbunden. Während der Wechsel muss der Bühnenmechaniker zudem darauf achten, dass die Schauspieler*innen immer einen Sicherheitsabstand von ein, zwei Metern zu dem dann kurzfristig im Boden klaffenden Loch in der Bühne halten, "schließlich geht es da 4,33 Meter in die Tiefe". Aber auch hier hat er keinen Grund zur Sorge, schließlich wird selbst "Abstand halten" intensiv mitgeprobt.
"Früchte des Zorns" nach dem Roman von John Steinbeck in der Regie von Max Lindemann ist ab dem 4. Dezember 2024 auf der Bühne 1 im Münchner Volkstheater zu sehen.