Malen auf Kleidern: Die Färberei
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Ein dröhnender Lärm wie von einem Staubsauger dringt durch die schwere, schwarze Tür im ersten Stock des Münchner Volkstheaters. Links daneben geht es zur Maske, gleich rechts in die Schneiderei. In dem kleinen Raum dazwischen, keine 15m2 groß, steht Frédérique Guillard mit einer Airbrush-Pistole an einer Werkbank. Ihr Gesicht verbirgt sich hinter einer großen Atemschutzmaske samt Augenschutz. Neben ihr die Quelle des Lärms: eine Absauganlage, deren Schlauch auf die Werkbank gerichtet ist. Sie besprüht gerade eine kurze, weiße Hose mit grauer Farbe. Besser gesagt, sie meliert sie ein wenig auf der Innenseite, damit die Konturen später auf der Bühne besser zu erkennen sind. Die Hose gehört zu einem der beiden Schafkostüme von "Animal Farm". Guillard ist etwas unter Zeitdruck: "Heute ist mein letzter Tag und ich muss noch ein paar Kostüme fertig machen."
Patinieren bedeutet nicht nur, die Sachen alt oder schmutzig zu machen. Man kann auch sagen, man malt auf Kleidern.
Guillard ist Kostümfärberin. Ein Beruf, den es im Theater gar nicht so häufig gibt, der aber nicht wichtig genug sein kann, wenn es darum geht, Kostümen den letzten Feinschliff zu geben. Perfekt abgestimmte Farben schaffen erst die richtige Atmosphäre auf der Bühne und akzentuieren den Charakter der Rollen. Dabei geht es nicht nur ums Färben von Kostümen. Ein anderer wichtiger Bestandteil ist das sogenannte Patinieren, das oft das künstliche "Verdrecken" oder "Veraltern" von Kostümen und Accessoires beschreibt. Für Guillard ist es aber mehr als das: "Patinieren bedeutet nicht nur, die Sachen alt oder schmutzig zu machen. Man kann auch sagen, man malt auf Kleidern." Wenn man sich die bereits fertigen Kostüme ansieht, versteht man, was sie meint. Auf einer Kleiderstange hängt eine cremefarbene Stretchhose, die sie kunstvoll mit verschiedenen Pasteltönen überzogen hat.
Bei "Animal Farm" ähneln alle Kostüme bestimmten Tieren, ob Pferd, Schwein oder Schaf. Richtig gefärbt wird diesmal nichts. Guillard ist für die Feinheiten zuständig: "Heute muss ich noch diese Schuhe bemalen." Sie zeigt auf ein Paar weinrote Damenschuhe mit Riemen auf dem Boden: "Die sollen am Ende aussehen wie die Klauen einer Kuh."
Nicht jede Inszenierung benötigt eine eigene Kostümfärberin. Wird es aber so aufwändig, wie bei "Animal Farm", muss jemand gebucht werden.
Für die Kostüme hatte Guillard nur sechs Tage Zeit. Das Münchner Volkstheater besitzt zwar seit dem Umzug ins neue Haus eine Färberei mit eigenen Färbewannen, einer Waschmaschine und unzähligen Stoffmalfarben, Lacken und Sprays in den Regalen, aber Guillard wurde extra für "Animal Farm" engagiert. Nicht jede Inszenierung benötigt eine eigene Kostümfärberin. Manches können die Kostümbildner*innen selbst übernehmen. Wird es so aufwändig, wie bei "Animal Farm", muss eigens ein*e Kostümfärber*in geholt werden.
Ihr Wissen und Können hat sich Frédérique Guillard als Autodidaktin über die Jahre selbst beigebracht. Die künstlerische Begabung wurde ihr aber mehr oder weniger in die Wiege gelegt. Der Vater war Maler, der Großvater auch. Logisch, dass sie neben ihrer Arbeit am Theater auch selbst malt. Bevor sie nach Deutschland ging, war sie einige Jahre Kostümassistentin in der Tanzkompanie um Maguy Marin, eine der bedeutendsten Choreographinnen Frankreichs. Im Jahr 2000 kam sie als Kostümassistentin zu den Oberammergauer Passionsspielen, wo sie bei Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier im Bereich der Färberei und in der Herstellung der Engelsflügel tätig war. So kam der Kontakt zum Münchner Volkstheater zustande. Seit 2010 ist sie auch für das Bayerische Staatsschauspiel als Kostümfärberin tätig.
Trotz ihrer jahrelangen Berufserfahrung gibt es für Guillard immer wieder eine große Herausforderung in ihrer Arbeit: "Das Licht auf der Bühne ist immer sehr schwierig. Man weiß nie, wie es genau sein wird. Ich würde die Kostüme gerne auf der Bühne sehen. Dann könnte ich noch Korrekturen machen. Aber das ist ja auch eine Frage des Budgets und der Zeit." Und die Zeit ist immer knapp. Das wissen auch die beiden Kolleginnen aus der Schneiderei, die an der Tür klopfen und fragen, ob sie es heute noch schafft, eine glitzernd violette Hose zu bearbeiten. "Schaff ich", sagt Guillard gelassen und nimmt die Hose entgegen. Denn irgendwie geht es immer.