„Sie werden sehen: Es schaut super aus“
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Herr Schweinberger, die Bühne des neuen Volkstheaters ist nicht die erste Bühne, die Sie bauen?
Bernhard Schweinberger: Meine erste war im Prinzregententheater. Das war 1995 und ich war Anfänger. Dann kam das Stadttheater Helsinki, das Theatro Municipal in Luxemburg, das La Felice in Venedig. Dann die Renovierung der Schaubühne und die Volksbühne Berlin, die Renovierung der Oper in Helsinki, die Elbphilharmonie in Hamburg und die Stadthalle Magdeburg. Dann das Performance Art Center in Taipeh und jetzt das Volkstheater. Ich freue mich unglaublich, in meiner Heimatstadt München ein neues Theater bauen zu können.
Was genau ist Ihre Aufgabe als Bauleiter der Bühnentechnik?
Wir haben im Bereich der Bühne die größte Technikdichte überhaupt. Vom Aufwand her ist eine Bühne mit der Intensivstation eines Krankenhauses vergleichbar. Beides kostet auch etwa gleich viel: Pi mal Daumen fünf bis sechstausend Euro pro Quadratmeter. Damit wir die ganze Technik unterbringen, haben wir Ablaufpläne und Koordinationszeichnungen. Ich als Bauleiter muss schauen, dass alles zusammenpasst. Erfahrungsgemäß kann man alles planen, auf der Baustelle ist es dann wieder ganz anders.
Grundsätzlich stellt sich die Frage: in welcher Reihenfolge montiere ich die ganze Technik? wer fängt denn an?
Tatsächlich?
So ein Plan ist reine Theorie. Ich muss prüfen: Ist die Wand dort, wo sie sein soll? Ist sie bucklig oder schief? Hat der Rohbauer die Toleranzen eingehalten? Eine Abweichung von einem Zentimeter oder auch mehr ist völlig normal. Die Kunst ist es, die Bühne trotzdem unterzubringen. Grundsätzlich stellt sich die Frage: in welcher Reihenfolge montiere ich die ganze Technik? Wer fängt denn an? An der Decke arbeiten sechs verschiedene Firmen und im Zuschauerrum mehr als 10, die alle koordiniert werden müssen. Diese Abstimmarbeit macht zwei Drittel meines Jobs aus.
Was ist komplizierter: die Technik an der Decke oder die unter der Bühne?
Weder noch. Der heißeste Bereich der Bühne ist die Portalzone. Das ist der Bereich direkt hinter der Portalwand zwischen Zuschauerraum und Bühne.
Wieso ist die Portalzone so schwierig?
Das Portal ist wesentlich für die Funktion der Bühne, weil hier technisch am meisten stattfindet. Ganz vorne sitzt der erste mechanische bühnentechnische Einbau, der Eiserne Vorhang. Der hat die Aufgabe, im Fall eines Brandes den Zuschauerraum vom Bühnenturm abzutrennen. Bei jeder Vorstellung ist ja ein Feuerwehrmann anwesend. Sollte es brennen, drückt er auf einen Knopf und dann geht der Eiserne Vorhang im freien Fall herunter.
Das klingt gefährlich.
Natürlich fällt er nicht ungebremst, er wiegt ja 14 bis 15 Tonnen. Aber er fällt nur von der Schwerkraft getrieben. Links und rechts laufen an Seilen Gegengewichte. Für den regulären Spielbetrieb befindet sich oben eine Winde. Früh am Morgen ist der Eiserne Vorhang das erste, das hochgezogen wird, am Abend nach der Vorstellung das letzte, was heruntergefahren wird, als Brandschutz für die Nacht.
Wie dick ist die Konstruktion?
Etwa 25 Zentimeter. Falls es wirklich brennen sollte, muss er dem Feuer 90 Minuten standhalten können. Im Notfall wird er von Sprinklern an der Decke mit Wasser gekühlt. Er muss auch rauchdicht sein und den Druckunterschied aushalten, den ein Brand erzeugt.
Was passiert noch in der Portalzone?
In der nächsten Achse befindet sich die Vorhangschere für den Hauptvorhang.
Öffnet sich der Vorhang seitlich oder fährt er nach oben?
Das Scherensystem kann beides, griechisch und deutsch.
Wie bitte?
Der griechische Zug teilt den Vorhang links-rechts, der deutsche fährt ihn hoch-runter.
Steht denn die Farbe des Vorhangs bereits fest?
Das weiß ich nicht. Der Vorhang selbst kommt ja vom Haus. Wir installieren nur die Technik. Jedenfalls: nach dem Vorhang kommt der sogenannte Nullgassenzug. Hier hängt meist ein Schleier oder ein Schallvorhang. Und danach kommt die doppelstöckige Portalbeleuchtungsbrücke. An ihr kann ich Scheinwerfer befestigen, aber mit ihr kann ich auch die Höhe des Portals verändern.
Sie können das Bildformat quasi auf Breitbild stellen?
Nicht nur das. Ich kann auch links und rechts Türme hereinfahren und so die sichtbare Breite der Portalöffnung variieren. Wieviel von der Bühne zu sehen sein soll, hängt von der Inszenierung ab, vom Stück oder vom Lichtdesign. Ich finde es immer wieder unglaublich, wie man mit Licht gestalten kann. Als Zuschauer weißt du ja nicht, wie tief die Bühne ist. Ein guter Lichtdesigner kann den Eindruck eines endlos tiefen Raums erzeugen.
Was kann die Bühnentechnik des neuen Volkstheaters denn noch?
Auf der Hauptbühne gibt es natürlich eine aufwändige Obermaschinerie mit Prospekt- und Punktzügen. Im Zuschauerraum zwei streifenförmige Podien. Die kann man hoch- und runterfahren. Auf diesen Podien kann man sechs zusätzliche Stuhlreihen aufstellen. Ich kann sie auch nach unten fahren und die Fläche als Orchestergraben nutzen. Oder ich gestalte eine ebene Fläche, sodass die Bühne bis direkt vor die erste Stuhlreihe reicht. Die ganze Konstruktion ist einzigartig und ungewöhnlich. Was noch einzigartig ist: die frei sichtbare Beleuchterbrücke quer im Zuschauerraum. Die Brücke kann ich vor- und zurückfahren. So was ich kenne aus keinem anderen Theater. An dem Platz hängt sonst der Kronleuchter. Das ist wirklich sehr speziell.
Drehbühnen sind beliebt bei Theatern, die viele Gastspiele haben, weil sie den Aufwand fürs Bühnenbild reduzieren.
Wie ist die Bühne selbst aufgebaut?
Es gibt drei Räume: die Hauptbühne, die Hinterbühne und die Seitenbühne. Auf der Hauptbühne sind vier Doppelstockpodien und ein Transportpodium, die wir auch hoch- und runterfahren können. Zwischen Haupt- und Hinterbühne befindet sich das Prospektlagerpodium für die Bühnenbilder, die sonst in der Obermaschinerie hängen. Wenn man sie nicht braucht, werden sie heruntergelassen und zusammengerollt. Das sind dann 20 Meter lange Würste. Das Prospektlager ist ein gigantisches, versenkbares Regal, wo ich sie ablegen kann. Wenn ich die Prospekte wieder brauche, habe ich mir hoffentlich gemerkt, wo ich sie einsortiert habe.
Wofür dient die Seitenbühne?
Auf der befinden sich fünf Seitenbühnenwagen, auf denen Kulissen aufgebaut werden können. Am Ende eines Aktes fahre ich eine Kulisse raus und die für den nächsten Akt rein. Der Boden der Hinterbühne besteht ebenfalls aus fünf Ausgleichspodien. Da kommt dann später ein großer Drehscheibenwagen drauf. Drehbühnen sind beliebt bei Theatern, die viele Gastspiele haben, weil sie den Aufwand fürs Bühnenbild reduzieren.
Wie verringert sich der Aufwand?
Die Drehscheibe hat einen Durchmesser von etwa 15 Metern. Auf ihr kann man drei oder sogar vier Bühnenbilder gleichzeitig aufbauen und sie durch Drehen ganz schnell wechseln.
Von wo aus wird denn all die Bühnentechnik bedient? Aus dem Regieraum?
Auf der Rückseite des Zuschauerraums gibt es zwei Regieräume, einen für die Lichtregie, einen für die Tonregie. Aber die Bühnentechnik wird von der Bühne aus bedient. Es gibt ein festes Steuerpult und mehrere mobile, die dort stehen, wo ich sie brauche. Bei manchen Fahrten muss man Sicht haben. Man kann zwar viel automatisieren, trotzdem gilt in der Bühnentechnik immer noch der Grundsatz, dass sich nichts vollautomatisch bewegen darf. Jeder Vorgang muss von einem Bediener ausgelöst werden.
Um die Menschen auf der Bühne nicht zu gefährden.
Genau. Der Bediener hat seinen Fahrhebel mit einem Totmannschalter wie in einer Lokomotive oder bei der Carrerabahn. Lässt er los, bleibt alles stehen.
Wie gefährlich ist denn ein Aufenthalt auf der Bühne?
Sie gehört mit zu den gefährlichsten Arbeitsplätzen überhaupt.
Wir haben einen Standard erreicht, der viel höher ist als bei einer Krananlage.
Man kann ja tief stürzen.
Nicht nur das. An jedem Kran steht: "Kein Aufenthalt unter bewegter Last". Und das haben wir auf der Bühne permanent. Deshalb haben wir eine sehr aufwändige Sicherheitstechnik. Die Seile, die Lasten heben, haben mindestens einen Sicherheitsfaktor von zehn eingerechnet. Alle Getriebe sind auf das doppelte Drehmoment auslegt, das auftreten kann. Wir haben alle Bremsen doppelt. Und unter den Podien sind Gummileisten mit Schaltkontakten drin, die unterbrechen die Fahrt, wenn jemand seinen Fuß dazwischen hat. Das kann man testen. Aber vielleicht doch lieber mit einem Brettl als mit dem eigenen Fuß.
Sicher ist sicher?
Wir haben einen Standard erreicht, der viel höher ist als bei einer Krananlage. Alle elektrischen Steuerungen entsprechen der sogenannten SIL3-Anforderung. Das ist die zweithöchste Anforderungsklasse an sicherheits-relevante Steuerungen. Zum Vergleich: SIL4 ist ein Atomkraftwerk. Schlimme Unfälle sind auf der Bühne selten geworden. Ich erinnere mich an keinen Fall, wo es einen Unfall wegen einer maschinentechnischen Fehlfunktion gegeben hätte.
Was ist denn das Schlimmste, das passieren kann?
Ein Stromausfall mitten in der Vorstellung. Doch auch für den Fall gibt es Batterien, die die Zeit überbrücken die man braucht um die Anlage in einen sicheren Zustand zu bringen, bis das Notstromaggregat im Keller angesprungen ist.
Wird es eine Muschel für die beiden Souffleusen des Theaters geben?
Nein. Den letzten Souffleurkasten habe ich in Venedig gebaut. Ich glaube, den haben die noch nie benutzt. So ein Kasten gehört zum Kompliziertesten, was es im Bereich Bühnentechnik gibt. Das Problem ist: im Brandfall verwandelt er sich in ein Gefängnis. Außerdem hat er einen negativen Einfluss auf die Akustik im Orchestergraben. Heutzutage stehen Souffleusen an der Seite. Oder der Text läuft gleich auf einem Bildschirm mit, wie beim Teleprompter.
Gibt es noch mehr Theatertechnik, die verschwindet, weil sie nicht mehr zeitgemäß ist?
Umgekehrt: es gibt eher Fälle, wo sie bewusst erhalten wird. In der zweiten Spielstätte haben wir fünf Prospektzüge installiert, die noch von Hand bedient werden. Dicke Hanfseile mit manuellen Bremshebeln. Die sind für die Ausbildung der künftigen Bühnenmeister. Damit die sehen, wie es früher war.
Der Bühnenboden ist eine Wissenschaft für sich und gleichzeitig eine Philosophie.
Wie weit ist denn der Bühnenboden?
Wird gerade eingebaut. Der Bühnenboden ist eine Wissenschaft für sich und gleichzeitig eine Philosophie. In Deutschland werden die Bohlen quer zur Bühnenlängsachse verlegt. In Italien würden sie sagen: Seid ihr wahnsinnig, wir verlegen längs! Besonders im Orchestergraben. Die Stachelinstrumente, also die Celli und Bässe, leben von der Resonanz des Bodens. Auch viele Geiger sagen: wenn ich das Vibrieren des Bodens nicht spüre, fehlt mir was.
Aus welchem Holz besteht denn der Boden des neuen Volkstheaters?
Aus Schwarzkiefer. Das ist ein Holz, das nicht knarrt. Früher hat man Oregon Pine verwendet. Aber seit die Kanadier dieses Holz nicht mehr schlagen, wird Schwarzkiefer aus Österreich genommen.
Stimmt es, dass man in einen Bühnenboden eine Schraube reindrehen und rausdrehen kann und das Loch schließt sich danach wieder?
Die Bohlen werden aus dem Stamm heraus radial geschnitten, sodass die Jahresringe möglichst senkrecht stehen. Wenn ich da eine Schraube hineindrehe, schiebe ich die Jahresringe zur Seite und zerstöre das Holz nicht. Die Bühnenbodenbauer bestreiten aber, dass sich ein Loch wieder vollständig schließt. Sie sagen: es bleiben immer Holzfasern an der Schraube hängen, wenn man sie herausdreht. Es ist also ein Mythos.
Für den Bühnenboden wird zurzeit auch der ganze Turm beheizt, oder?
Ja. Wir hatten zu Beginn der Montage schwierige klimatische Bedingungen in München. Erst starke Regenfälle, dann wurde es plötzlich warm. Die ganze feuchte Luft donnerte im Bühnenturm nach oben. Das Holz nimmt die Feuchtigkeit an und quillt auf. Wenn ich da jetzt eine Schraube reindrehe und das Holz schrumpft später wieder, fangen die Holzbohlen an zu klappern. Das ist ein Problem. Deshalb haben wir die Heizung und die Luftentfeuchter installiert. Um ein Raumklima zu schaffen, wie es später die ganze Zeit herrschen wird.
Was ist denn die Lieblingsfarbe eines Bühnenbauers?
Schwarz, definitiv. Das ist aber hier ein heißes Thema.
Wie kann Schwarz ein Thema sein?
Es war vom Theater gewünscht, dass in der zweiten Spielstätte die gesamte Decke mattschwarz wird. Jetzt kannst du den gleichen Topf Farbe benutzen, je nach Untergrund schaut es anders aus. Hier ein gestrahlter Stahlträger, da ein Lüftungsrohr. Das Volkstheater ist mein erstes Projekt, bei dem ich mich mit dem Thema Glanzgrad einer Farbe beschäftigt habe. Es gibt bei Lacken zehn Glanzgrade mit Glossywerten von 0 bis 99 Prozent.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Wir haben lange heiß diskutiert. Jetzt ist es akzeptabel. Man bekommt die Decke einfach nicht unsichtbar hin. Die Beleuchtungskörper fürs Arbeitslicht gibt es nicht in schwarz. Und auch das Kabel der Brandmeldeanlage darf nicht schwarz sein. Es muss rot sein, das ist Vorschrift, da komm ich nicht drum rum. Aber Sie werden sehen: Es schaut super aus.