Zwischen Hörspiel und Theater
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Autor: Tobias Obermaier
Noch weiter hinten kann das Schlagzeug fast nicht stehen. Mittig ist es fast am äußersten Ende der Hinterbühne auf einem kleinen, fahrbaren Podest platziert. Von dort sind es knapp 37 Meter bis zur Vorderkante der Hauptbühne, von der es schließlich in den Publikumssaal geht. Für das Publikum ist die Hinterbühne normalerweise nicht zu sehen. Während einer Inszenierung werden dort in der Regel Kulissenteile gelagert oder technische Umbauten vorbereitet. In "Der Zauberberg" in der Regie von Claudia Bossard sieht das anders aus. Die Regisseurin nutzt die gesamte Größe der Bühne für das Spiel ihres Ensembles. Und für die Musik von Alexander Yannilos.
Der sitzt hinter seinem Instrument, eine Mischung aus akustischem Schlagzeug, Drum-Synthesizern und Effekten, und wartet auf den Einsatz. Gerade findet erstmals die Probe auf der großen Bühne statt. "Von dort hinten erkenne ich gar keine Gesichter mehr", scherzt Yannilos über die weite Distanz zwischen ihm und dem Theatersaal. Vor ihm stehen und sitzen die Schauspieler*innen auf der Bühne, gehen ihre Dialoge durch oder notieren noch kleine Änderungen in ihren Textbüchern. Mit einem Handzeichen von Claudia Bossard startet Yannilos sein Spiel und der Probendurchlauf beginnt. Mit der Bassdrum gibt er einen tief wummernden Takt vor, während er eine von ihm vorproduzierte Soundcollage dazu schaltet. Ein Wust aus Stimmen ist zu hören, Teller klappern, als würden sie gerade von einem Tisch abgeräumt werden. Darüber legt sich das stetige Ticken einer Uhr. Gegen diese Geräuschüberlagerungen, die an die Atmosphäre in einem Restaurant erinnern, spielt das Ensemble in einer Szene im Lungensanatorium in den Schweizer Bergen an, dort wo die Handlung von Thomas Manns genau vor 100 Jahren erschienenen Romans stattfindet.
Yannilos ist viel mehr als nur Begleitmusiker, wie er erzählt: "Mein Schlagzeug geht teilweise ins Bühnenbild über und liefert einen atmosphärischen Sound im Hintergrund. Es wird aber auch immer wieder stark in den Fokus gerückt." So werden die Stimmen der Schauspieler*innen in seine Musik eingebaut, Alltagsgeräusche fließen wie eben in der Probe mit ein oder die Schauspieler*innen müssen gegen die Lautstärke des Schlagzeugs regelrecht ankämpfen. Das Konzept dahinter: Die Musik begleitet nicht nur das Spiel, sie reagiert vielmehr auf das, was auf der Bühne geschieht. Das Schlagzeug verändert dabei immer wieder seine Position. "Wir möchten die Musik als Zäsur verwenden und klangliche Widersprüche herstellen. Die Inszenierung hat eigentlich einen starken Hörspielcharakte", betont Yannilos. Zusätzlich zu den Soundcollagen kommt aber auch vollwertige Musik zum Einsatz, neben einigen Klassikern ebenso eigens für die Inszenierung komponierte Stücke.
Damit das alles in der Praxis funktioniert, muss auf ein technisches Hilfsmittel zurückgegriffen werden: Alle Schauspieler*innen tragen Mikroports, also Funkmikrofone, am Körper. Denn anders könnte das Spiel mit dem Sound nicht umgesetzt werden. Eine Stimmverstärkung durch Mikrofone ist beim klassischen Theater nicht unumstritten. Oft lautet der Vorwurf, man nähme den Stimmen dadurch ihre Dynamik, die Klangvielfalt würde durch Mikrophone vielmehr eingeebnet werden. Im vorliegenden Fall lässt sich das Argument sehr schnell entkräften. Denn die Mikroports verstärken nicht nur die Stimmen, sie dienen vor allem als künstlerisches Mittel. So wird beispielsweise mit den Lautstärken der Stimmen gearbeitet. Etwas, dass ohne Mikrophone kaum möglich wäre und hier als Kontrapunkt zur Musik eingesetzt wird. "Die Zuschauer müssen sich zum Beispiel konzentrieren und das Flüstern der Schauspieler*innen aushalten. Es ist immer die künstlerische Idee in der Umsetzung wichtig und nicht der reine Effekt", so Yannilos.
Die Musik begleitet nicht nur das Spiel, sie reagiert vielmehr auf das, was auf der Bühne geschieht. Das Schlagzeug verändert dabei immer wieder seine Position.
Er und Regisseurin Claudia Bossard sind dabei stark auf die Zusammenarbeit mit dem Tonregisseur Moritz Alfons Stäubli angewiesen. Stäubli ist sozusagen das Bindeglied und die vermittelnde Instanz zwischen den kreativen Ideen und der technischen Umsetzung, die in der Tonabteilung des Münchner Volkstheaters unter der Leitung von Danny Raeder liegt. Dort laufen letztlich alle künstlerischen Fäden zusammen, die den Sound betreffen. Denn "jedes Geräusch auf der Bühne, selbst das Rascheln am Körper oder das Einschenken eines Wasserglases muss richtig verstärkt werden", so Raeder. "Aber dann soll natürlich auch sehr dediziert nur eine Person verstärkt werden und genauso gibt es Szenen, in denen wir voll aufdrehen und Rockkonzert-Lautstärke haben werden." Wie sich das Ergebnis am Ende anhört, davon kann sich das Publikum bei der Premiere am 20. Januar und an den anderen darauffolgenden Spielterminen ein Bild machen.
"Der Zauberberg" nach Thomas Mann in der Regie von Claudia Bossard ist ab dem 20. Januar im Münchner Volkstheater zu sehen.